New Model Army - From here

Earmusic / Edel
VÖ: 23.08.2019
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Macht der Gewohnheit

Manchmal ist es gut, im Herzen konservativ zu sein. Also nicht zwingend im politischen Sinne, sondern im Wortsinne "bewahrend". Erst recht, wenn man eine Band vertritt, die seit knapp vier Jahrzehnten im Geschäft ist und so ziemlich alles an Höhen und Tiefen mitgemacht hat, was der Markt hergibt. Es gibt ergo wenige Musiker, die glaubwürdiger sind als Justin Sullivan, wenn er für sich und seine Band New Model Army propagiert, dass das Album-Format alles andere als tot sei. Denn seit den ersten Alben der Engländer wurden in wechselnder Stärke des Wehklagens die Schallplatte, die Kassette, die CD und diverse andere Audio-Formate immer wieder für obsolet erklärt, mit der Begründung der ach so veränderten Hörgewohnheiten. Und als wollte die Band nicht nur vermeintlich modernen Hör- sondern auch Produktionsgewohnheiten den Stinkefinger zeigen, entstand das neue Album "From here" nicht nur in gemeinsamer Studioarbeit, sondern direkt in kreativer Klausur auf einer kleinen norwegischen Insel.

Altmodisch also, jedoch nicht altbacken, zumal das Quintett aus Bradford mindestens seit dem fulminanten kreativen Neustart "Between dog and wolf" aus dem Jahr 2013 entschlossener und kreativer denn je daherkommt. "From here", so viel darf vorweg genommen werden, macht da keine Ausnahme. Zum einen liegt das an Sullivan selbst, der mit mittlerweile 63 Jahren immer mehr zwischen weisem Beschwörer und "angry old man" pendelt und den Songs nicht nur seinen Stempel aufdrückt, sondern sie lebt, sie atmet, aus Liedern Botschaften entwickelt. Auch wenn sein fieser Yorkshire-Slang nach wie vor selbst mit profunden Englisch-Kenntnissen nicht ohne Textblatt zu verstehen ist.

Zum anderen aber befördern die zwölf Songs eine atmosphärische Dichte, die manchmal mit unterdrücktem Zorn arbeitet, selten offen aggressiv, sondern immer mitreißend ist, immer gefangen nimmt. Das beginnt schon mit "Passing through", dessen melancholischer Beginn in der zweiten Hälfte in pure Verzweiflung eskaliert, und endet noch lange nicht beim dystopischen "End of days", bei dem Sullivan seine Wut über die Welt mühsam gebremst herausspeit, jederzeit bereit, Dir sofort ins Gesicht zu springen. Altersmilde? Oh nein. "The expression on your face says / You've been cheated / Well, you've been cheated / But not in the way that you think", faucht Sullivan hier. Das ist Wut, das ist nahezu Resignation, das ist der bitterböse Zynismus, den vielleicht noch Jaz Coleman von Killing Joke ähnlich meisterhaft beherrscht.

Unbestrittenes Highlight jedoch ist der abschließende Titeltrack. Wenn das Albumformat der Maßstab ist und die Platte eben nicht um wenige Radio-Hits herum gestrickt werden muss, gibt es keinerlei Notwendigkeit, sich an gängige Konventionen zu halten. Und so ist "From here" ein einziger hypnotischer Spannungsbogen, im Prinzip durchgängig einen vergleichsweise simplen Basslauf umkreisend, bis sich nach der Hälfte die angestaute Emotion Bahn bricht. Das ist schlicht großartiges Songwriting, eine fantastische Performance einer Band, die immer noch viel zu sehr auf ihre wenigen Single-Hits reduziert wird. Selten waren die Nordengländer so facettenreich, selten so emotional mitreißend. Ewiggestrig sind hier ganz andere – New Model Army sind so relevant wie seit vielen Jahren nicht. Großartig.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Never arriving
  • End of days
  • From here

Tracklist

  1. Passing through
  2. Never arriving
  3. The weather
  4. End of days
  5. Great disguise
  6. Conversation
  7. Where I am
  8. Hard way
  9. Watch and learn
  10. Maps
  11. Setting sun
  12. From here
Gesamtspielzeit: 60:19 min

Im Forum kommentieren

Dulle

2023-11-08 13:03:56

@OMalley: Bei mir war es etwas später, schätze so 87-88 (ich war 15-16). Da habe ich auf einer Party das erste Mal 51st State gehört und einen ziemlich (positiv) bekloppten Hardcore-NMA-Fan kennengelernt. Diesen Fan habe ich übrigens ca. 25 Jahre nach dem letzten Kontakt Anfang der 90er auf dem besagten Weihnachtskonzert Konzert im Palladium wieder getroffen. Er fährt da selbstverständlich jedes Jahr hin.

OMalley

2023-11-07 19:57:43

@Dulle: Fast exakt meine Armyweg inkl. Weihnachtskonzert. Könnte aber auch 1-2 Jahre danach gewesen sein. Der Grunge hat Army dann auch abgelöst in den frühen 90ern.
Angefangen hat es bei mir mit Vengeance und der Radio Sessions.

Dulle

2023-11-07 17:19:41

New Model Army war mal Ende der 80er eine meiner Lieblingsbands, zu Zeiten von Thunder and Consolation über Ghost of Cain bis zu Impurity. Love of Hopeless Causes habe ich nur noch so halb wahrgenommen – es war Zeit für Grunge. Dann verschwand NMA komplett aus meinem Fokus. Habe sie dann 2006 noch mal auf einem der traditionellen Weihnachtskonzerte in Köln (Palladium) gesehen. Hat aus Nostalgiegründen viel Spaß gemacht, habe mich seitdem aber nie wieder mit NMA beschäftigt – weder alte noch neue Alben gehört. Die Musik ist bei mir einfach schlecht gealtert.

Ich bin jetzt in den letzten Tagen auf der Suche nach Songs für eine 90er Playlist wieder auf den Geschmack gekommen (besonders White Light vom 93er Album hat es mir gerade angetan). Ich habe jetzt erst die PT-Rezension zu From Here gelesen, die mich etwas verspätet neugierig auf den „neuen“ Output gemacht hat. Nach dem ersten Durchgang finde ich es wirklich großartig! Das werde ich mir sicher noch öfter geben.

MasterOfDisaster69

2019-11-02 21:00:25

so siehts aus...

wilson

2019-10-27 11:10:19

"from here" ist für mich eine der überraschungen des jahres!

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