The Murder Capital - When I have fears
Q Prime / ADA / WarnerVÖ: 16.08.2019
Die graue Insel
Man muss sich nur anschauen, für wen The Murder Capital aus Dublin in letzter Zeit die Shows eröffnet haben, und man weiß Bescheid: Shame, Idles, Fontaines D.C., Slaves. Die aufstrebende Band um Frontmann James McCovern reiht sich ein in die erfrischende und mitreißende Welle von Post-Punk, die die letzten Jahre von den britischen Inseln herüber schwappte. Doch auch unter jenen hochqualiativen Genre-Kollegen bewahren sich The Murder Capital ihre Einzigartigkeit. Und da ist das erste Lebenszeichen, welches die Truppe zum Jahreswechsel von sich gab, gar nicht mal so repräsentativ. Das Live-Video zu "More is less" zeigte eine Band, die in Sachen Intensität und Tempo im oberen Bereich angesiedelt ist und einen garstigen, tonnenschweren Straßenfeger raushaute. Doch nun, nach Genuss des Debütalbums "When I have fears", erkennt man deutlich, dass die große Stärke der Band darin liegt, bedrohliche Szenarien und Momente des Kontrollverlusts anzudeuten, in gefährlicher Schräglage zu verharren und die Todestöße nur als Wahrscheinlichkeit durchschimmern zu lassen.
Da wandert und stolpert "Green and blue" ohne dezidierte Spannungsspitzen durch triste Schablonen der grauen Großstadt, die Gitarren sägen desillusioniert, das Drumming läuft wie ein Motor im emotinal ermatteten Alltagsbetrieb, aber dennoch: Gerade im Gesang von McCovern finden sich verblüffende Schattierungen, nüchterne Kernigkeit wechselt sich mit einem verletzlichen Säuseln ab. Man hat immer wieder den Eindruck, dass diese Songs zur Selbsttherapie geschaffen wurden Sie nehmen Umwege in Kauf und verlängern ihre stoischen Leidensposen über jenen Punkt hinaus, der im Sinne von Eingängigkeit und Massengeschmack ratsam wäre. Doch ein ungerichtetes Dahingeistern wie in "Slowdance I" begeistert eben dadurch, dass es eine ungeschönte Dramaturgie besitzt, die trotz gemäßigter Schlagzahl unaufdringlich, aber stetig ins Fleisch schneidet. Vieles auf "When I have fears" geht, anstatt auf den Punkt zu kommen, den Weg einer langwierigen Leidenserfahrung. Trauer und Wehmut schwingen in der mäandrierenden Gitarrenfigur von "On twisted ground" mit, man erwartet den großen Ausbruch. Doch The Murder Capital sind da emotional vielschichtiger: McCovern steigert mit sanftem Druck die Intensität seines Gesangs bei gleichzeitiger Dämpfung der Instrumentierung. Wenn diese dann wieder Fahrt aufnimmt, wundert man sich, dass man gar nicht gemerkt hat, wie einem die Tränen an den Wangen runtergelaufen sind.
The Murder Capital sind somit vor allem eins, vielschichtig und ausgewogen, wo andere Bands mit Plakativität schnell zum Ziel kommen wollen. Auch das rumpelnde, treibende "Feeling fades" hat in seinem nasskalten Feedback-Brodeln und seiner lakonischen Rhythmik noch Zwischenräume frei, die von einer verletzlichen Haltlosigkeit gefüllt werden. Klar, die Iren erschaffen viel Schroffheit, es rumpelt und donnert mitunter ganz gehörig, doch was einen so durch und durch ergreift, sind die Signallichter der Wärme und Menschlichkeit. "Don't cling to life" trägt in seinem gräulichen Setting eine helle Gitarren-Melodie, die dem Sehnen und der Hoffnung auf ein Happy End in Verbindung mit dem flotten Schlagzeug nachhaltig Ausdruck verleiht. Es ist erstaunlich, wie diese Band es schafft, ein breit aufgestelltes Klangspektrum zu erzeugen, bei gleichzeitiger Geschlossenheit in Stimmung und Attitüde. Da passt auch die Klavierballade einer Wasserleiche, siehe "How the streets adore me now", auf ein Album, welches durch die äußere Klammer einer unspektakulären Authentizität zusammen gehalten wird. The Murder Capital leiden, sind wütend, stehen Ängste aus, doch machen sie daraus kein großes Spektakel. Dieses Album berührt über alle Maßen, weil es statt im Rampenlicht zu stehen, in schattigen Schichten aus Grau existiert.
Highlights & Tracklist
Highlights
- For everything
- Green and blue
- On twisted ground
- Don't cling to life
Tracklist
- For everything
- More is less
- Green and blue
- Slowdance I
- Slowdance II
- On twisted ground
- Feelingg fades
- Don`t cling to life
- How the streets adore me now
- Love love love
Im Forum kommentieren
Dulle
2023-01-21 17:25:41
Leider kenne das Album erst seit gut einer Woche. Ich finde das Debut nicht nur gut, sondern überragend. Nur Feeling Fades und How The Strets fallen etwas ab, sonst durchweg Songs auf 8-9er Niveau. Und ein wahnsinnig guter Sound.
noise
2023-01-09 17:09:41
Das Debut ist wirklich gut und könnte hier ruhig mehr Beachtung erhalten.
Die neue heißt übrigens "Gigi's Recovery". Auf Bandcamp kann man sich einige Stücke schon mal anhören.
Martinus
2023-01-07 21:24:17
Nachfolger kommt am 20. Januar.
carpi
2020-11-14 18:16:08
Nach einem Jahr Verspätung bin ich bei den 8er Bewertungen, die es 2019 recht häufig für das Album gab, cargos "null Alleinstellungsmerkmal" möchte ich in "wenig Alleinstellungsmerkmal" ändern, der Wechsel von klassischem Post-Punk, eine Prise Postrock und etwas Tom Waits gefällt mir schon sehr. Im Rahmen des Genres doch vielseitig, wie es in der Rezension hier auch formuliert wurde und trotz des Themas Suizid gibt es den ein oder anderen Hit (For everything, More is less, Don't cling to life).
Armin
2019-10-16 20:20:33- Newsbeitrag
Heute haben The Murder Capital aus Dublin ein neues Video für "More Is Less" veröffentlicht - die Live-Version des Songs ging im vergangenen Jahr als erstes Lebenszeichen der Band online und brachte ihr große Aufmerksamkeit.
▶ Ansehen: The Murder Capital - "More Is Less"
Gemeinsam mit dem neuen Video kündigt die Band neue Live-Termine für Anfang 2020 an, die sie erneut nach Deutschland führen werden.
TMCDas Video zu "More Is Less" folgt der Veröffentlichung ihres Debütalbums "When I Have Fears" im August, das in Großbritannien eine Top 20 Chart-Position und in Irland eine Platz 2 erreichte.
Auf "When I Have Fears" hört man eine junge Band, die sich nicht scheut, Perfektion anzustreben. The Murder Capital beweisen trotz ihrer jungen, relativ kurzen Bandgeschichte enorme Intensität in ihrem Songwriting und schaffen ein Werk zwischen Licht und Dunkelheit.
Aber es ist nicht nur Schwere, Trostlosigkeit oder Wut, die die Hörer mitreißen – man wird Zeuge der extremsten Vision von Zärtlichkeit.
Aufgenommen mit Flood (PJ Harvey, Nick Cave & The Bad Seeds, New Order etc.) im Frühjahr 2019, verkörpert das Album diese Zärtlichkeit: es ist ein violetter Fleck auf dem harten Knie der sogenannten Wiederauferstehung des Post-Punk. Das Album existiert in zwei entgegengesetzten Welten, die aber doch nicht ohne einander auskommen, denn letztendlich ist es ein Album über das Akzeptieren der eigenen Ängste und lieben zu lernen, was man hasst.
"When I Have Fears" erschien am 16. August 2019 via Human Season Records / ADA und kann hier gehört werden.
Live kann man The Murder Capital im November erleben:
12.11.2019 - Molotow, Hamburg
13.11.2019 - Musik & Frieden, Berlin
14.11.2019 - Artheater, Köln
Die neuen Live-Termine für 2020:
25.01.2020 - Strom, München
03.02.2020 - Musik & Frieden, Berlin
04.02.2020 - Gleis 22, Münster
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Referenzen
Spotify
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