
Mother Tongue - Ghost note
Nois-O-Lution / IndigoVÖ: 23.06.2003
Von allen guten Geistern
Immer wieder wird diskutiert, welche Band denn nun die beste aller Zeiten, die größte der Neunziger oder die mit der schärfsten Frontschnitte sei. Die Meinungen sind mindestens so vielfältig wie die Diskussionsteilnehmer, und eine Einigung ist eigentlich immer unmöglich. Vielleicht gibt es aber wenigstens eine Ausnahme: Wer in den letzten zwei Jahren ein Konzert von Mother Tongue erleben durfte, wird auf die Frage nach der emotionalsten Rockkapelle unter der Sonne wohl kaum zögern, genau diese Band zu nennen. Es ist schlechterdings unmöglich, sich der Energie und der Faszination eines solchen Gigs zu entziehen. Wer hier nichts spürt, merkt auch in der Achterbahn keine Fliehkraftwirkung mehr.
Bei vielen brillanten Live-Bands entscheidet sich die Qualität der Alben oft daran, wie gut es gelungen ist, die Magie des Konzerterlebnisses in der Aufnahme festzuhalten. Die Atmosphäre eines Auftrittes von Mother Tongue einzufangen, bedeutet vor allem, Spontaneität und die Magie des einzigartigen Moments auf Band zu sichern. Eigentlich ein Widerspruch in sich. Zumal vieles von dem, was Mother Tongue auf der Bühne zu einem Natureignis macht, im Studio viel einfacher zu realisieren ist: Dynamik läßt sich beim Mixing recht einfach erzeugen, schiere Präzision ist auch kein Riesenproblem, wenn man für alles mehrere Versuche hat.
"Ghost note" erklärt stattdessen, warum Mother Tongue eine so einzigartige Band sind. Da ist zunächst mal der Groove. Dieses Gefühl, daß die Musik fließt, daß nach einer Stromschnelle wieder alles zu - manchmal scheinbarer - Ruhe kommt, daß ein Song etwas transportiert und daß er mitreißt, hat nur wenig mit den oben erwähnten technischen Fertigkeiten zu tun. Groove is in the heart, und Mother Togue haben ein großes Herz. Mit vier kräftigen Kammern, die nicht immer im Gleichtakt, aber stets in Harmonie pumpen.
Dabei verströmt die Band eine gewaltige Energie, die immer - auch wenn Frontmann Davo von den dunkelsten Momenten der Menschheit erzählt - durchweg positiv ist. Selbst Schmerz kann manchmal schön sein. Die oft düsteren Texte werden mit milden Stimmen, sanften Backgroundchören und perlenden Gitarrenlicks begleitet. Ganz klammheimlich bauen Mother Tongue dabei einen gewaltigen Druck auf, der sich in heftigen Powerpassagen entlädt. Ein emotionales Auf und Ab, als ob Du am selben Tag Deinen Traumjob bekommst, Deine Liebe verlierst, alte Freunde wiedertriffst und die spirituelle Erleuchtung Deines Lebens findest. "Ghost note" besteigt die höchsten Gipel, lotet alle Abgründe der menschlichen Seele aus, alle außer einem: Kein Funken Boshaftigkeit ist hier zu finden.
Ganz nebenbei enthält das neue Album auch noch Songs, für die andere töten würden. "In the night time" ist der beste Doors-Song, den Jim Morrison nie geschrieben hat, "The void" könnte The The-Mastermind Matt Johnson zum Grübeln bringen. Bei "Helicopter moon" müßten gar die Queens Of The Stone Age aufhorchen und mehr als anerkennend mit dem Kopf nicken. "Ghost note" verzichtet auf stilistische Selbstbeschränkungen. Statt der Konzentration auf den Blues (wie bei "Mother Tongue") oder den Funk ("Streetlight") erscheint hier alles möglich. Ganz wie auf den Konzerten der Band.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Alien
- The void
- Helicopter moon
- In the night time
Tracklist
- Dark side baby
- Coming home
- Alien
- The void
- That man
- The storm
- Missing
- Helicopter moon
- Sad song
- In the night time
Im Forum kommentieren
VelvetCell
2020-05-19 13:19:19
Mother Tongue waren schon immer ganz groß darin, klein zu bleiben.
Mayakhedive
2020-05-19 12:38:15
Dass die wirklich nicht einmal einen englischen Wiki-Eintrag haben, ist fast schon bizarr. So nischig ist die Musik doch im Grunde gar nicht.
fuzzmyass
2020-05-19 11:45:51
Die Visions hat hier eine sehr große Rolle gespielt der Band wenigstens hierzulande einen kleinen Popularitätsschub zu verschaffen - alleine dafür hat sie deswegen immer einen gut bei mir...
VelvetCell
2020-05-19 11:36:25
Ich wollte gerade meine Begeisterung kundtun, verweise aber nur auf mein Posting etwas weiter oben aus 2012 – das passt noch.
Kamm
2020-05-19 11:20:10
Ghost Note ist eines der ganz wenigen Alben mit hohem Blues-Anteil, dass es bei mir locker auf 9/10 schafft. Aber die Harmonien sind ja oft auch mehr Beatles als, hm, Dylan, und mit Beatles-Harmonien bekommt man mich. Immer.
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