Tusks - Avalanche
One Little Indian / IndigoVÖ: 14.06.2019
Flucht nach vorn
Es stehen womöglich unruhige Zeiten bevor, ein Konflikt zwischen traditionsfixierten und progressiven Kräften. Gewohnte politische Kräfteverhältnisse scheinen überholt, fatale soziale Ungleichheit, absurde lobbyistische Machtstrukturen und die Klimafrage treiben Menschen auf die Straße. Politiker scheinen ihre Macht bedroht zu sehen, mahnen zum Festhalten an "Werten", statt Themen der Zukunft anzupacken. Und setzen absurde Zeichen. In Deutschland stellt sich die Vorsitzende der größten demokratischen Partei gegen die Ehe für alle, im britischen Parlament votieren männliche Abgeordnete gegen ein Gesetz, das das voyeuristische Fotografieren unter dem Rock einer Frau strafbar machen soll. Nicht nur die britische Songwriterin Emily Underhill alias Tusks fragt sich, was da eigentlich an "alten Werten" so schützenswert ist. "Peachy keen", gespickt mit Synthies und böse gelaunten Sounds, ist die erste Single ihre neuer Platte "Avalanche" – und eine eine zynische wie sarkastische Antwort auf diese grotesken Vorgänge.
Und es ist so bemerkenswert wie folgerichtig, dass eine emotional zurückgezogene Künstlerin wie Underhill, die von Melancholie und Dunst umgeben scheint, im Jahre 2019 ihre Stimme erhebt. Doch keine Sorge. Wer den soundtechnisch kahlen und kargen Vorgänger mochte, für den hält die talentierte junge Dame mit dem alleine von Hall, ihrer Stimme und Synthiesprenkeln lebenden "Bleach" oder dem zurückhaltenden Auftakt "Demon" nach wie vor bedächtliche und kühl-elektronische Moll-Klangwelten bereit. Tusks schmückt ihre neuen Stücke aber auch mit launig funkelnden Mitteln der modernen Popmusik aus, wie etwa die Synthiewände im kleinen Energie-Hit "Be mine" an zweiter Position verdeutlichen, oder der plötzliche, flehende Ausbruch des getragenen, aber umso bewegenderen "Foreign".
Vergleicht man "Avalanche" etwas genauer mit Tusks Debüt "Dissolve", so fällt nicht nur die Themenwahl auf, die über intime Gefühlswelten und psychische Befindlichkeiten wie in "Delusion" oder dem zunächst nur auf Vocals gebauten, aber dennoch großartig hymnischen "Salt" hinausgeht. Underhill greift auch deutlich häufiger zur Gitarre, wie "Better that way" zeigt. Die im Titelstück zunächst zart sehr gezupfte Elektrische legt dann den Teppich für ein bewegend lautes Finale. Mag daran liegen, dass Underhill nach einem Unfall 2018 gar längere Zeit bangen musste, ob sie überhaupt je wieder Gitarre spielen kann. Dieser Platte, die mit ziemlich toller Balance zwischen Dream-Pop, Slow- und Post-Rock, zarter Elektronik und Underhills toller Stimme viel Atmosphäre und gleichzeitig mutbeselte Melancholie schafft, tut das in jedem Fall gut. Denn mit dem Feingefühl hat es der Zeitgeist ja derzeit bekanntlich nicht so.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Foreign
- Avalanche
- Better that way
- Salt
Tracklist
- Demon
- Be mine
- Peachy keen
- Delusion
- Mind
- Foreign
- Bleach
- Avalanche
- Better that way
- Salt
Im Forum kommentieren
Klaus
2019-10-31 22:18:31
Eines der vielen sehr, sehr guten Alben dieses Jahr.
Große Empfehlung! 8,5/10
Gleiches gilt für den Vorgänger, inkl. des Foals Covers.
Anfang 2020 ist sie auch wieder auf Tour.
Oliver
2019-06-30 08:25:31
Supertiefsinnige texte
Donald Tust
2019-06-29 20:35:19
10/10!
Armin
2019-06-29 20:27:27- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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