Black Midi - Schlagenheim
Rough Trade / Beggars / IndigoVÖ: 21.06.2019
Krach, Kunst oder beides
Der Rezensent stellt sich vor, wie er seiner Mutter Black Midi vorspielt, sie sich die Ohren zuhält und etwas in Richtung "Das ist ja schrecklich!" sagt. Nun ist besagte Mutter nicht unbedingt eine Autoritätsperson in Sachen Musik, ihre Krachtoleranz endet bereits bei den lautesten Songs von AnnenMayKantereit. Im Fall von Black Midi kann der Rezensent das (hypothetische) mütterliche Urteil aber durchaus nachvollziehen. Wie die vier Briten hier auf 45 Minuten Punk-, Indie-Rock- und Jazz-Einflüsse in wirrem Noise-Rock explodieren lassen, kann anfangs überfordern. Wer dran bleibt und sich durchkämpft, darf aber einer der interessantesten jungen Bands bei der Kreation ihrer eigenen Nische lauschen. Die Songs wecken Erinnerungen an die Musik von Jello Biafra, Pere Ubu und den Talking Heads, gepaart mit der Eigensinnigkeit von HipHop-Acts wie den Death Grips.
Black Midi (der Name ist einem experimentellen japanischen Musik-Genre entlehnt) ist es mit ihrer idiosynkratischen Art und trotz nur drei zuvor veröffentlichter Songs gelungen, einen Hype zu generieren. Unlängst hat Pitchfork ein langes Porträt über die Band geschrieben und den eigentlich wenig massentauglichen Sound Black Midis einem großen Publikum bekannt gemacht. Als neuer Typus der britischen Gitarren-Band wurden sie da bezeichnet, und diesem Label muss das Debüt-Album "Schlagenheim" nun gerecht werden.
In den wirren Songs klare Strukturen zu erkennen, erschweren die vier versierten Musiker mit abrupten Rhythmuswechseln, Störgeräuschen und dem Mangel an eindeutigen Refrains. Besonders Drummer Morgan Simpson sticht mit seinem virtuosen, jazzigen, auf Laut-Leise-Dynamiken fokussierten Spiel heraus und ist der heimliche Star der Band. In ruhigeren Passagen drängelt sich Frontmann Geordie Greep immer mal wieder in den Vordergrund, überlässt das Feld aber häufig schnell wieder den Gitarren, die wilde Riffs in noch wildere Riffs kippen lassen.
Die mysteriösen Lyrics fügen sich perfekt in den schwer-greifbaren musikalischen Rahmen ein. "Strange fantasy / This is not who you are / Not who you want to be / Not who I want you to be", heißt es in "953". Der Großteil des Songs ist instrumental, er kumuliert gegen Ende in einem lauten Klimax, bevor der Track immer langsamer wird und das anfängliche Riff immer mehr in seine einzelnen Töne zerfällt. In "Reggae" klingt die Band stellenweise wie eine wildere Variante der frühen Bloc Party, in "Western" bauen Black Midi ein acht Minuten langes Soundbrett um ein Country-Riff, lassen später sogar ein Banjo erklingen und beweisen, wie spielerisch sie sich die verschiedensten Genres aneignen können.
Das Highlight ist aber der vergleichsweise kurze Punk-Song "Near DT,MI" in dem der Bassist Cameron Picton singt und der in einen mitreißenden Refrain ausartet, in dem Picton sich die Seele aus dem Leib schreien darf. "Schlagenheim" ist mit Sicherheit eines der am wenigsten zugänglichen, aber gleichzeitig auch innovativsten Alben des Jahres. Wie das Quartett kunstfertig fordernden, melodischen Krach produziert, ist bewundernswert. Ein Jammer, dass die Mutter des Rezensenten die geballte Kreativität und Innovativität von Black Midi wohl niemals verstehen wird.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Near DT,MI
- 953
- Reggae
Tracklist
- 953
- Speedway
- Reggae
- Near DT,MI
- Western
- Of Schlagenheim
- BmBmBm
- Years ago
- Ducter
Im Forum kommentieren
nörtz
2022-07-16 16:47:31
Höre ja gerade alle drei Alben. "Ducter" ist ja so groß!
Eurodance Commando
2021-06-28 19:05:42
https://youtu.be/JHQNXHIuAyM
The MACHINA of God
2021-06-28 19:01:39
Auch geil. Alles geil. Geile Band.
The MACHINA of God
2021-05-30 00:14:09
Shame waren ja von der "ersten Welle" meine Lieblingsband.
Oceantoolhead
2021-05-30 00:12:14
„Ja genau die Mischung mag ich. So Sachen wie Idles und Fountaines DC sind mir zu straight und klasschischer Post-Punk, aber das Ganze so weird aufzublasen find ich grad richtig klasse.“
Exakt so gehts mir auch.
Diese Vocalentgleisungen von Of Schlagenheim und Ducter suchen echt ihres gleichen, da kommt das neue Leider nicht ran - hat dafür aber andere Qualitäten. Oder mit anderen Worten: Wahnsinns Band , wahnsinns Szene. Shame gehören da wohl auch noch zu, noch nie gehört - muss das mal nachholen.
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