The Smashing Pumpkins - Machina / The machines of God

Virgin
VÖ: 28.02.2000
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Corgan Show

Wenn es um Gerüchte, Skandale oder Verwirrungen geht, sind die Smashing Pumpkins seit ihrem Debütalbum "Gish" eine der vornehmsten Adressen der Rockmusik. Mit den Klassikern "Siamese dream" und "Mellon Collie and the infinite sadness" gehörten sie auch musikalisch zu dieser Elite. Besonders letzteres Album war 1995 ein Meilenstein. Kurt Cobain war tot und der Grunge, dem man die vier aus Chicago stets zugeschrieben hatte, roch auch schon etwas seltsam. Glatzkopf Billy Corgan wollte sich von den Klischees trennen und der Welt etwas beweisen. Der Beweis gelang und geriet für die Smashing Pumpkins zum Triumphzug, der am 12. Juli 1996 ein Ende fand. Mit dem Drogentod des Tour-Keyboarders und Herauswurf des etatmäßigen Drummers schienen die Pumpkins am Ende zu sein.

Das Gegenteil war der Fall und auch das Experiment "Adore" war zum Sterben schön. Fans, die den Zeiten der Holzfällerhemden nachtrauerten, stöhnten jedoch ob der überbordenden Pop- und Elektronikelemente auf. Man hatte Corgan bei Release des Debüts der Kürbisse vorgeworfen, er könne keine Popsongs schreiben, was ihn ungemein fuchste. "Euch werd' ich noch Popsongs schreiben", meinte er und tat genau dies. Die endverzerrten Gitarren rückten zunehmend in den Hintergrund. Schließlich stellte Corgan wie so viele andere die These vom Tod des Rock'n'Rolls auf. Seiner von Anbeginn an zerbrechlichen Kleine-Jungen-Stimme wollte er keine Gitarrentürme mehr aufbürden.

Aber da ihn sein Geschwätz von gestern nicht mehr kümmern sollte, hatte Corgan, vom relativen Mißerfolg von "Adore" enttäuscht, bald danach wieder eine andere Phantasie: mit der Rückkehr des geschaßten Drummers wollte man wieder zu einer "Heavy metal machine" werden. Der Schlagwerker sollte den scheinbar welken Klängen wieder Kraft geben. Mit dem vorab im Internet veröffentlichten Song "The everlasting gaze" konnte man sich eben dieser Hoffnung hingeben. Ein Berg von einem Song - und der Himmel war wieder voller Gitarren. Mit diesem Versprechen fängt denn auch "Machina / The machines of God" an. Schon der zweite Track "Raindrops and sun showers" erinnert aber eher an das Plastik der Achtziger als an den Schweiß der frühen Neunziger. Irgendwo zwischen New Order und Duran Duran perlen die nunmehr wieder eher verhaltenen Gitarren über einer Beatbox, die vor Spielfreude zu platzen scheint. P-O-P. Track drei beschert uns dann das dritte Element der Corganschen Sounduniversums: das überbordende Gefühl. "You're everything that I want and ask for / You're all that I'd dreamed / Who wouldn't be the one you love? / Who wouldn't stand inside your love?" Wieder singen die Gitarren, wieder erklingt die Snaredrum im Stakkato, wieder erwacht die alte Leidenschaft.

"Radio, play my favorite song" fordert dann "I of the mourning" und schon kommen wir zum eigentlichen Problem von "Machina". Für sich genommen entfalten eigentlich fast alle Songs ihre Schönheit. Die Verliebtheit der Melodien und Arrangements wirkt aber über weite Strecken eher ermüdend als erhebend. Auch wenn dies nicht die Absicht gewesen sein sollte, schielen die Songs zu sehr aufs Airplay als sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. Schicht um Schicht werden die Klänge aufgetürmt und leider endet dies im Zusammenhang des Albums im Endergebnis des Bandnamens: zermatschte Kürbisse. Auch Tracks wie "The sacred and profane", "Try, try, try", "This time" oder "Blue skies bring tears" sind für sich genommen schön, bleiben aber zu nett, als daß man sie öfter einladen würde.

Der Versuch, mit der angesprochenen "Heavy metal machine", in härtere Gefilde zurückzukehren, scheitert. "If I were dead / Would my records sell", fragt Corgan und klingt dabei ähnlich glaubwürdig wie Marilyn Mansons Spandexhosen. Die Gitarren und das "Let me die for Rock'n'Roll" klingen hier einfach zu künstlich, zu aufgesetzt, zu sehr nach Pose. Ein sicherer Kandidat für die Skip-Taste. Ganz anders, aber effektiver werden die sechs Saiten in "The imploding voice" eingesetzt. Ein Popsong, wie so viele der fünfzehn Tracks auf "Machina" auch, entwickelt durch sein konsequent trockenes Arrangement eine seltene Eigendynamik. Zwar kommt auch hier im Refrain wieder das Hymnische zum Zuge, schreit hier aber nicht dermaßen lautstark nach Stadion, sondern erinnert uns an "1979", wenngleich viel knarziger.

Auf dem Fuße folgt "Glass and the ghost children" über dem der Mond vom "Mellon Collie"-Cover wieder aufzugehen scheint. Zwischen sich gegenseitig anschiebenden WahWahs und Feedbacks webt sich eine sanfte, verträumte Stimme. Zwischenzeitlich gar beatleske Töne erklingen und weggetretener Gesang erzählt eine Geschichte dazu. "Black rooms are calling / White labs are cooking up the silver ghost". Dann plötzlich ein paar verhaltene Klaviertöne, ein Telefongespräch und wieder weißes Rauschen. Wenn dann zärtlich gezupfte Saiten wieder einsteigen, singt Corgan von Cherry Cola und weichen Sonnenuntergängen. "She dies a little bit" und die Magie ist wieder da, wenigstens für diese zehn Minuten.

Dann schrubben sie wieder, die Gitarren, und Corgans quengelndes Organ singt sich durch weitere verträumte Melodien, die aber wieder nicht richtig im Ohr festsetzen wollen. Der zweite Teil von "Machina" ist eher zerrissen und manchmal etwas lethargisch. Fast will man die CD aus dem Player verbannen, dann kommt plötzlich wieder eine dieser großen Momente, die diese Platte ohne Zweifel hat. "Age of innocence", ein nur scheinbar harmloses Stückchen, versöhnt dann doch wieder ein wenig mit der Welt. "Machina" ist schließlich definitiv keine schlechte Platte. Sie hat ihre Stärken, offenbart aber unerwartete Schwachstellen im Bandgefüge. Manche Songs umschmeicheln die Ohren, plätschern aber einfach an ihnen vorbei. Dabei sind zumindest die Texte weniger leichtverdaulich. Metaphysische Betrachtungen vom Leben, von der Wiederauferstehung, von der Liebe und vom Glauben an einen Gott zeigen mehr Tiefe, als man es vom Großteil der populären Musikschaffenden gewohnt ist.

"Diese Platte ist wie eine Blase in einer Blase in einer Blase", meint Corgan. Er vergleicht sie mit der Truman Show, die bekanntlich damit endet, daß der Star die Blase verläßt und ins Ungewisse vordringt. Ungewiß ist auch die Zukunft der Band. Kaum war mit Jimmy Chamberlin der alte Drummer wieder an Bord, legte D'Arcy Wretzky, ihres Zeichens Bassistin, ab und wurde durch Melissa auf der Maur (Ex-Hole) ersetzt. Mal wieder machten Trennungsgerüchte die Runde und niemanden würde es wohl wundern, wenn nach dieser Tour etwas dran wäre. Dabei war doch die Rückkehr des verlorenen Sohns als Katalysator für ein neues, altes Album gedacht. Produzent Flood, der auch bei "Mellon Collie and the infinite sadness" Hand anlegte, sollte für ein Album sorgen, daß "in seiner Richtung und Emotionen an die ganz frühen Pumpkins-Platten erinnert". Leider löst sie eben mehr Erinnerungen an die gute, alte Zeit aus, als sich selbst im Gedächtnis breit zu machen. Trotz der großen Momente haben die Maschinen Gottes einigen Sand im Getriebe.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The everlasting gaze
  • Stand inside your love
  • The imploding voice
  • Glass and the ghost children
  • Age of innocence

Tracklist

  1. The everlasting gaze
  2. Raindrops + sunshowers
  3. Stand inside your love
  4. I of the mourning
  5. The sacred and profane
  6. Try, try, try
  7. Heavy metal machine
  8. This time
  9. The imploding voice
  10. Glass and the ghost children
  11. Wound
  12. The crying tree of mercury
  13. With every light
  14. Blue skies bring tears
  15. Age of Innocence
Gesamtspielzeit: 73:21 min

Im Forum kommentieren

nörtz

2024-08-10 23:03:26

Liebe es ja, wie ganz am Ende von "Stand Inside Your Love" die Gitarre noch mal reinknallt und dann die Stille kommt.

joseon

2024-02-06 14:13:29

Hoffentlich dann zeitgleich mit dem "Mary Star of the Sea" RI. :D

Apropos Melissa Auf der Maur. Letztes Jahr gab es bei Paramount+ die kurzweilige (und leider sehr kurze) Doku Serie "Geddy Lee Asks: Are Bass Players Human Too?". Für die dritte Folge besuchte er Melissa, die inzwischen ein ruhiges Leben in einem kleinen Städtchen im US-Bundesstaat New York führt und dort zusammen mit ihrem Mann ein Kulturzentrum betreibt.

Affengitarre

2024-02-06 13:38:19

Heftig.

The MACHINA of God

2024-02-06 13:25:44

Nächstes Jahr kann er es als 25th anniversary raushauen.

nörtz

2024-02-06 13:20:36

Kommt ja evtl. bei den Reissues. Falls die noch in diesem Jahrhundert erscheinen werden. :D

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