
Andreas Dorau - Das Wesentliche
Tapete / IndigoVÖ: 07.06.2019
Wurst ohne Brot
Festivals sind schon eine feine Sache. Finden sie im Freien statt, kann man den ganzen Tag Bier trinken, kalte Ravioli in sich hineinstopfen und in Gummistiefeln herumlaufen, ohne verheerende ästhetische Signale auszusenden. Und wenn nicht? Kommt man zu dieser Gelegenheit trotzdem auf prima Gedanken. Nehmen wir Andreas Dorau. 2017 gab die Berliner Veranstaltung "Pop-Kultur" bei ihm einen "Abend ohne Strophen" in Auftrag – Wasser auf die Mühlen des Hanseaten, der insgeheim schon immer der Ansicht war, ein Lied solle lediglich aus einem Refrain bestehen. Im gleichen Jahr führte Dorau zudem beim Düsseldorfer Lieblingsplatte-Festival mit seinem einstigen Begleitchor Die Marinas den Klassiker "Blumen und Narzissen" komplett auf. Was hätte da also näher gelegen, als erstens die Damen fürs nächste Album ins Studio zu bitten und sich zweitens ausschließlich auf Refrains – "Das Wesentliche" halt – zu beschränken? Anders gesagt: Wer die Wurst nicht auch mal ohne Brot isst, hat Popmusik nie wirklich geliebt.
Eine Gefahr, die bei Dorau aber nie bestand – weder zu Zeiten von "Fred vom Jupiter", noch als er 1994 mit "Neu!" die erste deutschsprachige House-Platte aufnahm und es zuletzt mit "Die Liebe und der Ärger der anderen" wie geplant in die Charts schaffte. Und auch auf "Das Wesentliche" geht es locker-flockig durch sämtliche Aggregatzustände seiner musikalischen Vita. In aller Kürze, versteht sich – so ein Refrain dauert nun mal nicht allzu lange. Egal, ob es sich wie bei "Du bist eine Insel" oder "Instant magic" um aufgekratzten Sixties-Beat handelt oder bei "Hey tonight" um einen Westentaschen-Rock-Shuffle inklusive Spielzeug-Keyboard, mit dem Creedence Clearwater Revival auch im Waschsalon gastieren könnten. Zu den weiteren Verdächtigen zählen ABBAs gleich zwei Mal auftauchende "Dancing queen"-Klavierkaskade, die textliche Essenz des größten Snap!-Hits im weichgezeichneten Acid-Klopfer "Unsichtbare Tänzer" – und Dorau selbst, der im Opener die Kernaussage seines eigenen Heulers "Komm wieder" zitiert.
Mit dem Unterschied allerdings, dass "Nein!" nicht wie eine auf LSD eingespielte Version der "Musik ist Trumpf"-Titelmelodie klingt, sondern dank gekippt-melancholischer Stimmung halbakustische Pop-Sensibilität verbreitet. Schon ruppiger: der vergleichsweise roh gezimmerte Indie-Soul von "Identität" und "Menschen tragen graue Hüte", der auf dem unter Mitwirkung von Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen eingerumpelten Longplayer "Aus der Bibliothèque" nicht fehl am Platze gewesen wäre. Und kommen "Dinge können sich ändern" oder "Vielleicht" einmal nicht über den Charakter grober Skizzen hinaus, wartet schon bald der schmatzige Disco-Stampfer "Naiv" und das kuschelig elektronisch unterfütterte "Schwierigkeiten" – weswegen dieses Album schlicht zu schnell vorbei ist, bevor es langweilen oder gar nerven kann. Wie es sich für Popmusik gehört: Nichts ist so tragisch, herzerwärmend oder haarsträubend, als dass in zwei, drei Minuten nicht alles dazu gesagt wäre. Und in der Not schmeckt Wurst auch ohne Brot.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Nein!
- Unsichtbare Tänzer
- Menschen tragen graue Hüte
- Naiv
Tracklist
- Nein!
- Unsichtbare Tänzer
- Identität
- Menschen tragen graue Hüte
- Wieso
- Dinge können sich ändern
- Gebrauchtes Herz
- Du bist eine Insel
- Naiv
- Vielleicht
- Hey tonight
- Fallen
- Instant magic
- Schwierigkeiten
- Was immer Du auch vorhast
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Armin
2019-06-06 11:38:57- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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