Cokie The Clown - You're welcome

Fat Wreck / Edel
VÖ: 26.04.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Ungeschminkt

Skandälchen sind sein Adrenalin, Provokationen das Salz in der Alltagssuppe. Michael John Burkett alias Fat Mike ist ein unberechenbarer Mensch. Er passte sich selten den Gepflogenheiten der Punk-Szene an, selbst sein Vermögen parallel zum zeitgleichen Niederreden des unsozialen Kapitalismus erscheint ihm weniger als Verrat denn als Normalität des Punk, der er sich in einer auf Kapital getrimmten Welt nun einmal nicht entziehen kann. Dass er es keinem Menschen in seinem Umfeld je leicht machen sollte, auch das weiß man. Dass er es seit seiner Kindheit alles andere als leicht hatte, ahnte man. Was Burkett allerdings wirklich fühlt und wie er einschneidende Erlebnisse seiner Vergangenheit außer mit Alk und harten Drogen verarbeitete, das blieb verborgen. Bis zu "You're welcome", diesem verstörenden, weil schonungslos direkten Solo-Debüt des Kaliforniers als Cokie The Clown.

Okay, Mini-Rolle rückwärts: Burketts Sexleben und seine Vorliebe für SM-Praktiken sind natürlich längst kein Geheimnis mehr. Doch es verstört, mit welch klarem Bekenntnis er den körperlichen Schmerz und Fetisch als essenziell für das seelische und soziale Gleichgewicht betrachtet und mit welch offenen Karten der Fat-Wreck-Häuptling im Videoclip zur Auskopplung "Negative reel" spielt – die visuelle Schlagkraft gleicht einem schweren Autounfall. Man will nicht, aber man muss immer wieder kurz hinschauen. "I'm so lucky / That I feel things so few others feel" ist bloß die jugendschutzgemäße Analyse. Doch bis zur Hälfte des Albums braucht es sicher nicht, bis einem der Atem leicht stockt. Im beinahe a capella gehauchten Opener "Bathtub" stammelt "Fatty" so hörbar betrunken wie bewegt den Moment ins Protokoll, als er seine Lebenspartnerin nach einer Überdosis bewusstlos in der Badewanne findet und sich sicher ist, sie habe das Zeitliche gesegnet. Puh.

In eine ähnliche Kerbe schlägt "Swing and a miss", das ebenfalls detailliert schildert, wie Burkett als 19-Jähriger einen Kumpel nach dessen Selbstmord auffindet und in Schockstarre anschließend die Eltern bei ihrer Trauer beobachtet. Vielleicht war man gewarnt, da er die Platte seines Alter Egos mit den Worten "I peeled my fuckin' skin off for this record" ankündigte. Wer dennoch auf gewohnt ironisch-politische Punkrock-Satire eingestellt war, könnte von der biografischen Wucht und Authentizität zeitweise erdrückt werden. Das schwierige Verhältnis zu seinen Eltern ist in Ansätzen bekannt, im Kontext der Leiden seiner Mutter indes erscheinen die so intimen wie trockenen Schilderungen zur aktiven Sterbehilfe in "That time I killed my mom" beklemmend. Auch musikalisch übt sich "You're welcome" häufig in Melancholie, da der NOFX-Mann über weite Strecken eine kleinlaute Instrumentierung wählt, sich Piano-Parts, in Moll operierende Streicher sowie Co-Sängerinnen und -Sänger die Klinke in die Hand drücken. Weit über ein Jahr arbeitete Burkett an diesem Projekt, unter anderem mit dem französischen Musiker Baz, Travis Barker (Blink 182, The Transplants) und Dizzy Reed (Guns 'n' Roses) sowie Produzent Danny Lohner (Nine Inch Nails, A Perfect Circle).

Nach einem ebenso schonungslosen Rückblick auf seine beiden längeren Beziehungen zu Frauen steht "Punk rock saved my life" nicht ohne Grund am Schluss des Albums. Ein Song, der die Kindheit, den verhassten Vater, die sozial chaotische Jugend thematisiert und als Gegenpol zu allem Negativen die Musik und das Fat-Wreck-Umfeld als den rettenden Anker, die einzige Konstante in Burketts Leben identifiziert. Und nur weil er genau weiß, welche Zeile er da auf die Welt loslässt, möchte dieser traurige Clown für einen Moment lang selbst abtauchen, in die Fat-Mike-Rolle schlüpfen und für kurze Zeit dem gewohnt schnellen Punkrock seiner Hauptband das Regiment überlassen: "My parents were just relatives / My family was always NOFX." Punkt.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Negative reel
  • That time I killed my mom
  • Punk rock saved my life

Tracklist

  1. Bathtub
  2. Fair leather friends
  3. The Queen is dead
  4. Swing and a miss
  5. Down with the ship
  6. Negative reel
  7. That time I killed my mom
  8. Fuck you all
  9. Pre-arraigned marriage
  10. Punk rock saved my life
Gesamtspielzeit: 34:27 min

Im Forum kommentieren

@Alphex

2019-05-26 19:15:58

Jang Ding Mam bade, lass den Clown in ruhe. Der hat Clownsyndrom, der kann nicht anders.

marmeladenkoch

2019-05-24 14:13:53

Finde das Album unglaublich gut.

Alphex

2019-05-24 13:29:35

Ja, man kann das großartig wie finden, wie vollkommen ehrlich und ohne doppelten Boden auf der Platte die Kamera auf Elend gehalten wird. Allein, es macht die Musik nicht besser und mutet eher voyeuristisch als kunstfertig an.

Spätestens seit der NOFX-Biographie, zuvor aber schon durch diverse Aktionen ggü. Roadies auf der Bühne, ist Mike für mich halt schon echt einfach nur ein verwirrter alter Säufer der sich gerne mal wie ein Arschloch aufführt, weil er es kann. Das mindert seine Integrität in anderen Bereichen nicht, aber lässt mich sehr daran zweifeln, ob Therapie nicht zielführender gewesen wäre als dieses authentische Einführen von Nadeln in Körperöffnungen eines fertigen Typen.

Musikalisch ist das - angemessen, weil ja für spröde Themen gedacht, jaja - eher karg, und die Stimme, um da dann zu punkten hat er halt nicht. Ohne das NOFX'sche Riffing, Tempo und Gaudi müsste stärkeres Songwriting her, und das höre ich da halt nicht (auch wenn er das in der Vergangenheit stellenweise durchaus in petto hatte).

Wegen "Achtung, ehrliche Musik" direkt in Verzückung zu geraten lässt mich eher übles in Bezug auf das Ausdruckslevel von Musik vermuten: Ist das alleine schon so bemerkenswert? Die Szene der Baggy-Shorts und Dauerironie selbstkritisch? Ich vermute es ja fast nicht.

OD

2019-05-24 12:33:14

Ich war anfangs auch nicht überzeugt, aber ein paar hübsche Melodien sind schon dabei.

Absolute Geschmacksache, keine Frage

...

2019-05-24 12:19:21

Miserables Album. Einfach schlechte Musik und Volltrash

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