Andreas Spechtl - Strategies

Bureau B / Indigo
VÖ: 24.05.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Lust auf Widerstand

Andreas Spechtl reist weiter. Nachdem er sich in den vergangen Jahre an den äußersten Rändern Europas herumtrieb und schließlich einen längeren Zwischenstopp im Iran einlegte, produzierte der Österreicher "Strategies" größtenteils in Mexico City. Dabei herausgekommen ist erneut ein Electronica-Album, dass jedoch mehr als sein Vorgänger "Thinking about tomorrow, and how to build it" den spechtlschen Dandyismus herauskehrt, den man von seinen Zeiten als Frontmann von Ja, Panik kennt. Die komplett analog aufgebauten Arrangements flanieren fast überschwänglich durch eine Allee, deren Bäume am Straßenrand sich Techno, Tribal und Disco schimpfen. Zwischendurch wird der Überschwang fast einmal zur Aggression, das kennt man so von Spechtl nicht. Steht ihm aber.

"Openings" jedoch eröffnet zunächst einmal still die Platte, lässt Winde wehen, ein Saxofon blasen und Tasten klimpern. Spechtl erklärt, was dem Hörer thematisch bevorsteht: "A history of victories and transformation." Danach gibt es kaum noch ein Halten, zwischen Handclaps und Gläserklirren wird zu housigem Grund-Setting wild getanzt. Der zweite Song "The separate" greift das musikalische Vorwärtsstreben auf, spielt mit einer gesampleten Gitarre, ballert einen kräftigen Beat heraus und mündet in einer Max Weber paraphrasierenden Ja-Panik-Gedächtniszeile, die sich ganz deutlich an das Milieu der "Modernen Performer" richtet: "Die schönen Söhne, die schönen Töchter beim Bohren schwarzer Löcher". Einsamkeit kann man sich auch selbst schaffen. "Hot hell" wabert auf den Kopfhörern von links nach rechts und wieder zurück, Spechtls Stimme geistert durchs Effektgerät, verzerrte Steeldrums machen die Verwirrung komplett. "The time (The money)" erscheint für die Verhältnisse des Albums hingegen maximal organisch: Saubere Keys, vergleichsweise fröhliche Bläser und eine fast unverzerrt gezupfte Akustische ebnen dem Österreicher den Weg für zwei seiner Lieblingsthemen: Zeit und Geld. "Time kills money / time will survive", lautet das Fazit.

Auch "When we were young" bemüht ein paar Saiten. Im Geiste Anna Seghers' nimmt Spechtl sich den europäischen Opfermythos zur Brust, der im Zuge der Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre immer populärer geworden ist. "Open the doors", keift Spechtl zu jaulenden Sirenen, teilweise wechselt er dabei vom Englischen ins Spanische. Das letzte Stück "Structures" kommt als 15-Minuten-Brocken daher, der seinem Titel entsprechend versucht dem großen Wirrwarr "Gesellschaft" doch noch etwas Reguläres abzugewinnen. Behutsam streift es die zackigen Ausschweifungen des Vorgängersongs ab, lässt eine sakrale Orgel einfallen, die sogleich von einem ätherischen Brummen wieder verdrängt wird, das schließlich dem Piano Platz macht. Spechtl flüstert wiederholt: "It's not your fault". Man fühlt sich an die Szene aus "Good Will Hunting" erinnert, in welcher Robin Williams' Figur ebendiesen Satz solange jener Matt Damons entgegenwirft, bis diese tränenreich in die Arme ihres Therapeuten fällt. Es ist der große Moment auf "Strategies". Der Track schwankt, zerfällt und setzt sich neu zusammen, integriert Bläser und Theremin, verstummt dann und kehrt als flackerndes Dance-Fanal noch einmal wieder.

"Strategies" ist zugänglicher als sein sperriger Vorgänger "Thinking about tomorrow, and how to build it". Spechtl verlässt sich wieder häufiger auf die Lyrik als Überbringer der Botschaft, wenngleich sie auch selten wirklich im Vordergrund steht. Das aber hilft wiederum dabei, Spechtls Weltschmerz, der sich mal melancholisch, mal fatalistisch, mal nihilistisch auswächst, besser zu begreifen. Hinzu kommt, dass der Österreicher sich traut, die Arrangements nicht mehr allzu sehr zu überfrachten, sondern ihre Elemente sorgsam ineinandergleiten lässt, sodass die melodiöse Grundidee der Songs immer greifbar bleibt. Es wirkt ein wenig, als wäre der Musiker in den vergangenen zwei Jahren ein Stück selbstbewusster geworden. Denn "Strategies" ist mutiger darin, klare Aussagen zu treffen, als man das zuletzt von Spechtl gewohnt war. Es ist streckenweise fast feierwütig, hat Lust auf Widerstand, kehrt nach außen, statt sich in sich selbst zu verstecken. Ein tolles Album!

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hot hell
  • When we were young
  • Structures

Tracklist

  1. Openings
  2. The separate
  3. Hot hell
  4. Pretty views
  5. The time (The money)
  6. When we were young
  7. Structures
Gesamtspielzeit: 42:08 min

Im Forum kommentieren

Armin

2019-05-16 20:24:19- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Kleines SchoßHündchen

2019-03-07 19:14:52

Wow!

Armin

2019-03-07 18:49:11- Newsbeitrag

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Neues Album von ANDREAS SPECHTL: "Strategies" erscheint am 24. Mai!

Viel von der aktuellen, realpolitischen Düsternis merkt man „Strategies“, dem neuen Album des rastlosen Avantgarde-auteurs Andreas Spechtl, nicht an. Ganz im Gegenteil. Wo die beiden Vorgängeralben „Sleep“ und „Thinking About Tomorrow (And How To Build It)“ intime, stille, persönliche Reisen an den Rändern Europas oder durch den Iran dokumentierten, mit skeptischem Blick auf die politischen Verschiebungen der letzten Jahre, explodiert „Strategies“ geradezu mit einer Lust an Beats, an Techno, an Tanz, an Festlichkeit, an Widerstand.


Der globalen, politischen Verunsicherung folgt hier das neue Selbstbewusstsein, folgen die neuen Strategien, folgt die neue Lust am Ausbruch, an der Ekstase, am Wahnsinn und an Anarchie und zwar ab den ersten Melodien, ab den ersten Zeilen, wenn in Openings anfangs noch an die stillen, intimen Momente des Vorgängers angeschlossen wird, ein Klavier verhallt, ein Saxophon vorüberzieht, bevor dann allerdings die Beats einsetzen und ein fast schon hymnisches „yes, we will change the world / because we’ve done so / many times before“ den euphorischen Takt für den Rest des Albums vorgibt.

"Strategies" erscheint am 24. Mai 2019 bei Bureau B.

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