Tim Hecker - Anoyo

Kranky / Cargo
VÖ: 10.05.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Der abgemagerte Bruder

Schön, wenn es noch für eine Extraportion reicht. Nach den Sessions zu "Konoyo", Tim Heckers allseits gefeiertem Album mit dem Gagaku-Ensemble Tokyo Gakuso, war noch einiges an Material übrig. Das hat man ja oft, es ergibt sich eine stilistische Grundausrichtung, zu der so manches aus den Aufnahmen nicht recht passen will. In diesem Fall waren das reduzierte Meditationen beziehungsweise Übungen in körperlosen Geisterbeschwörungen. Hecker hat diese nun zu einem Zwillingsalbum von "Konoyo" gebündelt, es hat den schönen Titel "Anoyo", was soviel wie "die Welt da hinten" bedeutet.

Wenn man den Opener "That world" hört, versteht man schnell, warum Hecker diese Musik für ein separates Album zurückgehalten hat. Von "Konoyo" ist das Gefühl bekannt, dass die Klänge und Melodienskelette der Stücke wie ein unruhiger Dämon durch die Ritzen des Unterbewusstseins pfeifen. Es sind dies Flötentöne, Synthieschwaden oder auch ein brüchiges Saitengeplinger, die aber, und das ist das Novum von "Anoyo", nie zu einer ausformulierten Orchestrierung heranreifen. Das Schadhafte, Leiernde, die Klangfolgen, die plötzlich ausfransen und in sich zusammenfallen: So nackt und für sich ausgestellt hat Hecker seine Musik noch nicht präsentiert. Die martialische Percussion von "Is but a simulated blur" haben Wirkmacht und einen gehörigen Punch, doch scheint dies eine destruktive Kraft zu sein, die das melodische Wabern und Schwellen drumherum zum Stottern und Stolpern bringen will. Auch "Konoyo" war ein unbequemes Album, es fanden sich jedoch immer wieder Momente, wo die althergebrachten, japanischen Instrumente sich mit der Synthetik Heckers zu Momenten gefährlicher Schönheit aufschwangen. Auf "Anoyo" bleibt es noch fragmentierter, es glitzert und schwingt phasenweise recht schön, doch immer wieder werden Kratzer in den dünn aufgetragenen, musikalischen Lack eingearbeitet.

Der "Step away from Konoyo" überführt zum Beispiel den mit Vorsicht gewebten Synth-Teppich in dunklere, mit Störfrequenzen versehene Schattenränder und auch die einsam klingenden Saiten in "Into the void" erzeugen durch ihre fast schon isolierte Präsentation ein Frösteln. "Anoyo" ist eine Musik der Einsamkeit, fokussiert auf ganz wenige Momente, denen der Hörer nachspüren kann. Ein vereinsamtes Pfeifen, Trommelschläge, die sich an einem schwarzen und damit potentiell unendlichen Raum reiben, manches mal ein schrilles Scheppern: All das scheint im eigenen Kopf widerzuhallen, wenn man diese sechs Stücke hört. In "You never were" rauscht und flirrt es dann derart stark, dass die klassischen Instrumente des Gagaku kaum noch den Boden unter den Füßen zu spüren scheinen. Dennoch, wacker und stoisch halten sie ihre Position und bringen auch hier eine Musik zu Ende, die durch die Jahrhunderte reist: konzentriert und unbeirrbar.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Is but a simulated blur
  • You never were

Tracklist

  1. That world
  2. Is but a simulated blur
  3. Step away from Konoyo
  4. Into the void
  5. Not alone
  6. You never were
Gesamtspielzeit: 34:26 min

Im Forum kommentieren

Watchful_Eye

2019-05-14 17:43:11

"That World" ist großartig und wäre auch auf Konoyo ein Highlight. Ansonsten kann ich die Euphorie nicht ganz teilen. Es ist gut oder vielleicht sehr gut, aber Konoyo sehe ich schon klar als das Hauptwerk an.

Der 7/10 kann ich nach jetzigem Stand zustimmen, allerdings sehe ich Konoyo bei 9/10.

whitenoise

2019-05-14 16:38:49

Mir gefällt es auch besser als "Konoyo", ich muss aber sagen, dass ich die beiden letzten Hecker-Alben nach dem Album-des-Jahres-Kandidaten "Virgins" schwer egal fand.

GV

2019-05-14 13:58:10

Mal wieder ein großartiges Album, das mir sogar noch besser gefällt als "Konoyo".

Armin

2019-05-09 20:40:22- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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