Fat White Family - Serfs up!

Domino / GoodToGo
VÖ: 19.04.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Lords of chaos

Schon die bloße Existenz von "Serfs up!" ist ein mittelgroßes Wunder. Bei Fat White Family regiert seit jeher das Chaos, nicht nur wegen ihrer körperlichen Hochleistungen bei Live-Shows, sondern gerade auch durch die gruppeninterne Dynamik. Kurz nach "Songs for our mothers" zerfiel die Band, Gitarrist Saul Adamczewski stieg von seiner Heroinsucht geplagt aus und wandte sich, ebenso wie die anderen Mitglieder, neuen Projekten zu. Doch die Auszeit erwies sich als segensreiche Kreativpause, denn drei Jahre später haben sich die Briten für nicht weniger als ihr bestes Album bisher zusammengerauft. Es war zwar schon immer so, dass sie auf Platte weitaus nuancierter als in ihren brachialen Live-Performances zu Werke gingen, doch "Serfs up!" hebt die musikalische Raffinesse auf ein neues Level. Keine plumpen Provokationen mit Nazi-Ästhetik und Goebbels-Namedropping mehr, dafür gibt es vielschichtigen Art-Rock mit Electro-, Jazz- und Noise-Attacken. An Zynismus und Biss haben die alten Edgelords natürlich trotzdem wenig eingebüßt, immerhin nennen sie einen Song "Vagina dentata" und verpacken ihn verstörenderweise in träumerischen Pop-Rock, der auch gut als Beschallung für den Strand oder Supermarkt taugen würde.

Easy Listening bei Fat White Family? Mitnichten, zuvor stießen die zwei ausufernden Eröffnungssongs die Tore zur apokalyptischen Disco auf, die Arcade Fire und Fucked Up auf ihren letzten Platten schon besucht hatten. "Feet" ist ein hypnotischer Groove-Brocken, geprägt von dramatischen Streichern und Lias Saoudis dringlichem Bariton, der nach und nach zerfällt und dabei eine sorgfältig gebaute Schicht nach der anderen offenbart. "I believe in something better" wirkt als klarer Industrial-Pop-Song zunächst geradliniger und lässt mit seiner Orgel im Refrain sogar etwas Optimismus rein, doch ersäuft er sich später in einem Meer aus aggressiven Horror-Geräuschen. Den wohl unvermeidlichen Unkenrufen darüber, dass die Band jetzt verstärkt auf Synthies setzt, strecken sie damit selbst den blanken Mittelfinger entgegen – tatsächlich haben sie nie herausfordernder und waghalsiger musiziert als auf "Serfs up!". "Kim's sunsets" drückt seine Empathie mit dem armen nordkoreanischen Diktator aus, der seine vielen schönen Raketen niemals abfeuern können wird, und wählt als Untermalung eine Mischung aus Albarn-eskem Anti-Reggae, verstecktem Funk und metallisch kreischenden "La la la"-Anfällen. So weit, so bekloppt.

Mit Stampf-Beat und taumelndem Bass tritt "Fringe runner" in den Zirkus, unter seinen grellen Synths und dem Flöten-Finale könnte auch ein alter Goldfrapp-Song stecken. "Tastes good with the money" beginnt indes mit gregorianischen Chören, verwandelt sich in einen astreinen Glam-Rock-Hit, holt für ein paar Zeilen den britischen Prinzen der Laszivität Baxter Dury ins Boot und kulminiert in einem wilden Saxophon-Rausch. Als würden Fat White Family wissen, dass sie dem ganzen Wahnsinn auch ein bisschen entgegenwirken müssen, kommen sie in der zweiten Hälfte merklich zur Ruhe. "Oh Sebastian" ist gar ihr zärtlichster Song überhaupt, Saoudi und das ihn begleitende Streichquartett scheinen im selben Raum mit dem Hörer zu sitzen. Doch auch in den zurückhaltenden Momenten schwelt noch das Abseitige, sei es in der Western-Noir von "When I leave" oder im nervösen Gitarrenriff, das den Walzer "Rock fishes" vor allzu viel Gemächlichkeit bewahrt. Und spätestens ganz zum Schluss weiß man dann auch wieder, was man gerade hört, wenn im klaustrophobisch klappernden Closer ein undefinierbares Blasinstrument trötet und Saoudi immer wieder das Mantra "Bobby's boyfriend is a prostitute" wiederholt. Wie hätte dieses Album auch anders enden können?

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Feet
  • I believe in something better
  • Tastes good with the money

Tracklist

  1. Feet
  2. I believe in something better
  3. Vagina dentata
  4. Kim's sunsets
  5. Fringe runner
  6. Oh Sebastian
  7. Tastes good with the money
  8. Rock fishes
  9. When I leave
  10. Bobby's boyfriend
Gesamtspielzeit: 43:42 min

Im Forum kommentieren

Klaus

2019-10-01 12:43:22

https://www.nme.com/news/music/fat-white-family-say-idles-are-self-neutering-middle-class-boobs-and-that-sleaford-mods-keep-banging-on-about-shit-wages-and-kebabs-2449351

“the last thing our increasingly puritanical culture needs right now is a bunch of self neutering middle class boobs telling us to be nice to immigrants; you might call that art, I call it sententious pedantry.”

in Richtung Idles.

MasterOfDisaster69

2019-10-01 12:39:34

wo bitte ?

https://www.facebook.com/FatWhiteFamily/photos/a.370373619658472/1304202272942264/?type=3&comment_id=1304701966225628

Klaus

2019-09-30 21:44:22

und 3 minuten später ergooglet man mindestens rechtspopulistischen Mist von denen. Damn.

Klaus

2019-09-30 21:40:19

Habe die zufällig entdeckt, als die jetzt in meinem Urlaub in einem Laden liefen - gefällt mir extrem. Irgendwas zwischen Editors, Arcade Fire und Nick Cave vielleicht? (so nach wenigen Hörproben)

MasterOfDisaster69

2019-08-09 13:13:09

Danke für die Rezension. Denke, die Platte hätte mehr Resonanz verdient.

Auch ganz nett zum Anschauen das "Monty Python meets Tarantino -like" Video
https://www.youtube.com/watch?v=VLTWNfyMS5Y

7/10

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