Frank Carter & The Rattlesnakes - The end of suffering

International Death Cult / Rough Trade
VÖ: 03.05.2019
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Seelenmonster-Groove

Sich selbst auf die Schulter klopfen ist ungefähr so sexy, als verbrächte man zwei Tage ungeduscht in Jogginghose auf der Couch neben dem oder der Liebsten – und das einzige, was man drückt oder berührt, sind die Knöpfe der TV-Fernbedienung. Selten hat der Rezensent den Moment erlebt, sich rückblickend bestätigen zu müssen: "Erwarten Sie Einiges!" lautete aber ein absolut zutreffendes Fazit zu "Modern ruin", der zweiten Platte von Frank Carter & The Rattlesnakes, die den beherzten Sprung aus der Punkrock- und Hardcore-Schublade wagte. In der Tat sollte besagtes Album der Wegbereiter sein für "The end of suffering" – eine bluesgetränkte, leicht stonereske und im besten Sinne geerdete Rockplatte, angesichts derer die Stadien der Welt für Frank Carter & The Rattlesnakes eigentlich zu klein sein müssten.

Dass dem vorerst nicht so sein wird, damit kann der Songwriter und Familienvater sicherlich sehr gut leben. Denn Carter und seine Mitstreiter um Co-Songschreiber Dean Richardson zeigen, dass die Melange aus Bescheidenheit und künstlerischem Talent ganz und gar nicht unscheinbar klingt. Bereits der Opener "Why a butterfly can't love a spider" geht mit absoluter Selbstverständlichkeit zu Werke. Zu einem minimalistischen wie cleveren Gitarrenriff und stoisch getakteten Drums singt der Ex-Gallows-Mann in einer atemberaubenden stimmlichen Variation, die zum Staunen bringt. Bereits zum Auftakt macht Carter klar Schiff, ist mit den Zuhörern längst im Beichtstuhl angekommen: "When I'm high, I'm in Heaven / When I'm low, I'm in Hell", ergründet der Frontmann die seelischen Leiden des Menschen rückwirkend von Medikationswegen. Kreisten sich die kreativen Ansätze Carters zu seinem schnaubenden Debüt "Blossom" noch um Irdisches, weniger Irdisches und Teuflisches, wagt "The end of suffering" vollumfänglich den mitunter schmerzhaften Vorstoß zur menschlichen Psyche, zu unseren Ängsten und deren Wurzeln.

"Anxiety" ist da die logische zweite Single: Ein roher Popsong mit hymnischem Refrain und schräg angehuschten Gitarren, der tiefer vorfühlt als er zunächst andeutet. Das Stück folgt dem Launch von #abetterplaceforyouandme, einer Online-Initiative der Band in Zusammenarbeit mit CALM – einer NGO, die Menschen bei der Überwindung von Angstzuständen unterstützt, oder mit dem Leben damit. Kuration mittels Pop-Kick indes sucht das bluesige "Love games", doch auch solche fast grenzwertigen Ausflüge gelingen, weil Carter und Co. mit der Kombination aus Piano-Licks und verzerrter Gitarre die richtigen Arrangements parat haben, und das Songwriting mit kleinen Überraschungen auch im scheinbar Konventionellen die nötige Tiefe schafft. Die detaillierte, nie überladene Produktion von Cam Blackwood und Alan Moulder (Nine Inch Nails, Queens Of The Stone Age) steht der Stimmung des Albums fein zu Gesicht, und manchmal spürt man zwischen den Rillen und der Nadel den (er)drückenden Hitze-Sommer 2018, der "The end of suffering" förmlich aus den Poren strömt.

Fans der ersten Stunde werden ein paar Falten in der Stirn haben ob des Muts der Platte, in ihrem Groove-Rausch jegliche Gallows-Konventionen außenvor zu lassen. Aber auch jene kommen vermutlich gut darauf klar, wenn "Heartbreaker" mit blecherner Snare die Rock'n'Roll-Finger spreizt, oder wenn der kompakte Stonerrocker "Crowbar" auf "Little sister" macht, bevor "Little devil" mit seiner Riff-Laune als Fast-Rausschmeißer die Partygäste narrt. Als ergreifender Höhepunkt schraubt sich das stoisch-depressive "Angel wings" an einem besonders intensiven Gewinde nach oben. "I am collapsing under everything I know", raunt Carter über die seelische Last zwischen alltäglichem Bemühen und Selbstzweifeln, bevor die Hi-Hat langsam einsetzt, der Sänger aus dem hinteren Teil der Kehle langsam zu schreien beginnt und dem Kollaps selbst auf Engelsflügen nicht entkommen kann. Im halbakustischen, leicht pathetischen Titelsong dann packt der Brite sein Seelenleben vollends auf den Tisch, sehnt sich dem Ende aller Zweifel, allen Haderns mit Gesellschaft und Moral entgegen, idealisiert Liebe und Zusammenhalt am Ende seiner Tage. Nicht nur, weil man Carter jetzt sofort in den Arm nehmen will, merkt man: Dieses "The end of suffering" hat weit mehr verdient als ein Schulterklopfen.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Why a butterfly can't love a spider
  • Heartbreaker
  • Anxiety
  • Angel wings

Tracklist

  1. Why a butterfly can't love a spider
  2. Tyrant Lizard King
  3. Heartbreaker
  4. Crowbar
  5. Love games
  6. Anxiety
  7. Angel wings
  8. Super villain
  9. Latex dreams
  10. Kitty sucker
  11. Little devil
  12. The end of suffering
Gesamtspielzeit: 44:10 min

Im Forum kommentieren

OliverDing

2019-11-06 07:30:32

Bestes Weezer-Album seit dem blauen.

fuzzmyass

2019-10-14 01:11:40

Ja, das Album ist gut geworden.... aber wohl trotztem ihr schwächstes.

kiste

2019-10-13 19:42:04

Eben mal wieder rausgeholt. Ich hatte die Platte gar nicht mehr so stark im Sinn. Diesmal hat mich die feine Produktion schier umgehauen, in jedem Lied gibt es was neues zu entdecken. Für mich gerade die Neuentdeckung des Jahres ;)

Armin

2019-05-21 19:00:09- Newsbeitrag

Frank Carter & The Rattlesnakes | 30.10. - 07.11.2019

Auch wenn der Albumtitel „End of Suffering“ zunächst Gegenteiliges vermuten lässt: es ist noch der selbe wütende Frank Carter - wie wir ihn kennen und lieben. Die Rattlesnakes spielen dazu immer noch dämonischen Riffrock und geben ihrem Sänger jede Möglichkeit, das zu tun, was er am besten kann: Auf der Bühne durchdrehen und sein gewaltiges Organ dazu nutzen, jedes Gefühl herauszuschreien. Nach ausverkaufter Tour im März kommen Frank Carter & The Rattlesnakes im Oktober erneut nach Deutschland.



Präsentiert werden die Konzerte von VISIONS, kulturnews, event., Ox-Fanzine & livegigs.de und FUZE.

30.10.2019 Hamburg - Markthalle
05.11.2019 Berlin - SO36
06.11.2019 Köln - Kantine
07.11.2019 München - Technikum

Erwartbar

2019-05-09 17:24:34

Wie nach den ganzen negativen Kommentaren der Möchtegern-Experten zu erwarten ist das Album großartig.

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