Von Wegen Lisbeth - sweetlilly93@hotmail.com

Columbia / Sony
VÖ: 03.05.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

This machine kills hipsters

Von Wegen Lisbeth leben in einer komischen Realität: Es ist eine Welt, in der sich Menschen freiwillig ihr Heim verwanzen, während andere nur so tun als wären sie ein regulärer Bewohner, um in Wirklichkeit Geld zu scheffeln. Eine Welt, in der Gymnastik gegen den Faschismus helfen soll, wo Fahrzeuge, die selbst Affen beherrschen, die Straßen bevölkern. In dieser Realität meint "Netflix and chill" für diejenigen, die noch nicht das große Alle-11-Minuten-Glück traf, nicht dasselbe wie für die mit Liebe Gesegneten, aber immerhin bringt ein rosafarbener Radfahrer einem die Quinoa-Bolo vorbei, Grüße von der Verteilungsgerechtigkeit bekommt man gleich mitserviert. Das Bittersüße an der Story: Wir leben alle in dieser Realität. Im Gedenken an den großen Protestsänger Woodie Guthrie könnte sich Matthias Rohde, der Frontmann von Von Wegen Lisbeth, "This machine kills hipsters" auf die Gitarre schreiben. Denn wie schon auf "Grande" widmen sich die Berliner auch auf "sweetlilly93@hotmail.com" zu synthieunterfütterten Indie-Pop-Arrangements vorzugsweise dem Yuppie-Diss.

Neokonservatismus hat viele Gesichter, aber die Zeile "Warum war früher alles schöner? / Warum macht Ihr Mayonnaise in den Döner? / Und warum ist die AfD immer noch da / Obwohl ich heut’ beim Yoga war?" aus "Alexa gib mir mein Geld zurück!" bringt es schon ganz gut auf den Punkt. Der Amazon-Assistent wurde im Song als eine Art Life-Coach engagiert, Erfolg stellt sich jedoch nicht ein, dafür aber springt dabei eine flotte Festival-Hymne heraus. Mit funkiger Gitarre und Glockenspiel naht "Jede Ratte der U8" heran und widmet sich den Wirrungen des heutigen Wohnungsmarkts. Rohde fackelt nicht lange und wünscht dem besungenen Gegenüber die Pest an den Hals – möglichst noch bevor das Investment fix ist. "30 Segways, ein Ferrari" macht es ähnlich, droppt ekelhafte Werbeagentur-Vokabeln und freut sich schließlich über den Crash. Dabei agiert es musikalisch aber ein wenig zurückgenommener. Gleich das ganze Internet und seine Kultur – Grüße an unser Forum! – kritisiert der schunkelnde Quasi-Titeltrack "Sweet Lilly": Der Schleier der Virtualität wirft einen langen Schatten, in welchem man weder weiß, was fake oder real ist, noch ob da ein Mensch oder eine Maschine schreibt.

In "Lieferandomann" wird die Stimmung trauriger. Es nimmt die Perspektive eines Lieferfahrers ein, der seine konsumierenden Gegenüber als nimmersatte Tiere wahrnimmt. Noch eine Spur düsterer gibt sich "Staub und Schutt": Rohde stellt sich als Abrissunternehmer vor, der nachts klammheimlich Behausungen demontiert, offenbar nur, um Schaden anzurichten. Eine mehr oder weniger klassische Liebeskummer-Nummer inklusive Depeche-Mode-Synthie gibt's mit "Westkreuz" auch. Der Song handelt vom Vermissen, aber auch von der Aussicht, dass manches konstant bleibt, auch wenn sich vieles ändert. Etwas zum Festhalten tut manchmal gut und wenn es nur ist, dass der Aufzug am U-Bahnhof noch genauso nach Pisse riecht wie früher. Gleicher Sachverhalt, aber stalkerhafter: "Alles, was ich gerne hätte" mit schmachtvollem Synthie-Saxofon, das sich neckisch eingliedert.

Auch "11 Minuten" thematisiert Liebe oder so was ähnliches, denn vor allem zitiert es große Lügen: "Es hat keine Polizeigewalt gegeben / Das regelt der Markt von alleine / ... / Niemand hat vor eine Mauer zu bauen" und so weiter, und so fort. Jedenfalls nicht viel Wahres dran an diesem Parship-Gewäsch. Anarchie wünscht sich "Gefährder" herbei, in welchem Rohde gern den Rang eines staatlich anerkannten Rowdies innehätte, aber eigentlich nur, um Leuten aufs Maul zu geben, die es verdienen. Vielleicht solchen Menschen, die zwar "keine Obdachlosenmagazine", aber dafür "Kaffee aus Uganda" kaufen, wie in "Irgendwas über Delfine". Bisschen schwierig ist hier der Einsatz des Wortes "Gutmensch", das sich Rechte eigentlich zur Abwertung angeeignet haben. Aber geschenkt, es kommt rüber, was gemeint ist.

Um einordnen zu können, warum über dieser Rezension eine 7/10 notiert ist, muss man wissen, dass der Bremmer "Grande" im Gegensatz zur Kollegin Zschirpe knallbonbonfarbenharte 8/10 gegeben hätte. Der Vorgänger war schlichtweg eine krasse Hit-Granate. Mehr tanzbar ging einfach nicht und witzig war's sowieso. Ersteres geht "sweetlilly93@hotmail.com" ein wenig ab: Die Melodien sind weniger spaßwillig, die Themen werden dafür aber ein wenig ernster dargestellt. Natürlich ist das hier immer noch nicht Isolation Berlin, doch ein Weltschmerzchen ist schon spürbar. Das bevorzugte Stilmittel des allgegenwärtigen Zeigefingers bleibt dabei der Sarkasmus. Dieser allerdings funktioniert mit einer Extraportion Fun besser, als im stilleren Setting. Dafür aber hat man auf "sweetlilly93@hotmail.com" aber eben die besser ausgeleuchteten Themen. Und bei Protestsongs kommt es doch genau darauf an. Die, hipster, die!

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Jede Ratte der U8
  • Westkreuz
  • Gefährder
  • Alle 11 Minuten

Tracklist

  1. Wieso
  2. Lieferandomann
  3. Alexa gib mir mein Geld zurück!
  4. Staub und Schutt
  5. Jede Ratte in der U8
  6. 30 Segways, ein Ferrari
  7. Sweet Lilly
  8. Westkreuz
  9. Alles, was ich gerne hätte
  10. Am wenigsten zu sagen
  11. Gefährder
  12. Alle 11 Minuten
  13. Irgendwas über Delfine
Gesamtspielzeit: 41:22 min

Im Forum kommentieren

Armin

2020-04-21 19:51:05- Newsbeitrag

VON WEGEN LISBETH
08.04.2021 Kiel, Max Nachttheater
09.04.2021 Magdeburg, AMO
10.04.2021 Erfurt, Club Central
11.04.2021 Würzburg, Posthalle
12.04.2021 CH-Basel, Volkshaus
14.04.2021 AT-Innsbruck, Music Hall
15.04.2021 AT-Salzburg, Szene
16.04.2021 Regensburg, Eventhall Airport Obertraubling
17.04.2021 LU-Luxemburg, Den Atelier
20.04.2021 Wiesbaden, Schlachthof
21.04.2021 Münster, Skaters Palace
23.04.2021 Hamburg, Sporthalle
24.04.2021 Berlin, Max-Schmeling-Halle
29.04.2021 Leipzig, Haus Auensee
30.04.2021 München, Zenith
01.05.2021 Ludwigsburg, MHP Arena
02.05.2021 Köln, Palladium

Armin

2019-09-26 19:09:39- Newsbeitrag

Die sehr gute Berliner Band Von Wegen Lisbeth hat ein sehr tolles Musikvideo zur Single „Alexa gib mir mein Geld zurück!“ veröffentlicht:

VON WEGEN LISBETH - ALEXA GIB MIR MEIN GELD ZURÜCK! (Musikvideo)


Diesen und noch viele weitere smarte Indiepop-Songs spielen Von Wegen Lisbeth auf ihrer fast ausverkauften heute startenden Tournee. Hier die Daten:

26.09.2019 Magdeburg, Factory (Ausverkauft)
27.09.2019 Rostock, Moya (Ausverkauft)
28.09.2019 Hamburg, Große Freiheit 36 (Ausverkauft)
29.09.2019 Hamburg, Große Freiheit 36 (Ausverkauft)
30.09.2019 Hamburg, Große Freiheit 36 (Zusatzshow)
02.10.2019 Osnabrück, Hyde Park (Ausverkauft)
03.10.2019 Kassel, 130bpm (Ausverkauft)
04.10.2019 Dresden, Alter Schlachthof (Ausverkauft)
05.10.2019 Erlangen, Heinrich-Lades-Halle (Ausverkauft)
08.10.2019 AT-Wien, Arena
09.10.2019 AT-Wien, Arena
10.10.2019 AT-Wien, Arena (Ausverkauft)
11.10.2019 AT-Linz, Posthof (Ausverkauft)
12.10.2019 AT-Graz, Orpheum (Ausverkauft)
14.10.2019 CH-Zürich, X-Tra (Ausverkauft)
15.10.2019 CH-Bern, Dachstock (Ausverkauft)
17.10.2019 Stuttgart, LKA Longhorn (Ausverkauft)
18.10.2019 Stuttgart, LKA Langhorn (Ausverkauft)
19.10.2019 Wiesbaden, Schlachthof (Ausverkauft)
20.10.2019 Wiesbaden, Schlachthof
21.10.2019 Saarbrücken, Garage
24.10.2019 Bielefeld, Unischuppen
25.10.2019 Köln, Palladium (Ausverkauft)
26.10.2019 Bremen, Pier 2
27.10.2019 Leipzig, Haus Auensee
29.10.2019 München, Tonhalle (Ausverkauft)
30.10.2019 München, Tonhalle (Ausverkauft)
01.11.2019 Dortmund, Warsteiner Music Hall
02.11.2019 Hannover, Swiss Life Hall
08.11.2019 Berlin, Columbiahalle (Ausverkauft)
09.11.2019 Berlin, Columbiahalle (Ausverkauft)
22.08.2020 Dresden, Junge Garde


Pascal

2019-06-20 16:17:05

@musie: Welche Alben erkenne ich denn nicht? Meinst du Referenzen zu VWL? Oder die Alben von VWL als grandiose Alben? "Grande" hab nicht ich rezensiert. Das wären für mich 8/10. Und 7/10 für die neue ist doch auch alles andere als schlecht?!

@Uwe: Ich glaube meine Perspektive bei "Lieferandomann" ist nach nochmaligem Hören möglich, aber nicht zwingend. Das mit der Rückeroberung des Wortes "Gutmensch" seh ich aber weiterhin nicht so wie du. Hier werden ja ganz klar Leute, die sich selbst als Gutmensch bezeichnen würden, in ihrer Bigotterie abgemahnt. "Ich bin kein guter Mensch, aber ein Gutmensch bin ich gerne." Also bleibt Gutmensch doch ein negativ besetzter Begriff im Kontrast zum tatsächlich guten Menschen. Was übersehe ich?

qwertz

2019-05-19 19:09:29

Doch, doch, ich mag es auch. Wie in der Rezension treffend geschrieben, weniger hittig, dafür textlich ausgereifter. "Irgendwas über Delfine" ist mein Highlight. Die Aufzähltexte von "Alle 11 Minuten" und "30 Segways, ein Ferrari" könnten dabei ganz ähnlich auch von Deichkind stammen.

Armin Winkler

2019-05-19 18:42:13

Scheiß Bandname, scheiß Albumtitel und richtig beschissene Musik. 1/10

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