Kevin Morby - Oh my God
Dead Oceans / CargoVÖ: 26.04.2019
Kevin, Maria und Josef
Kevin Morby wird nicht selten mit Bob Dylan verglichen, schon allein deswegen wie er bisweilen die letzten Wortsilben hinterherzieht. Eigentlich möchte man ja nun nicht schon wieder damit anfangen, hat sich Morby in den letzten Jahren auf vier Alben und in zahlreichen Kooperationen doch längst eine eigene und auch nicht unbedeutsame Künstler-Identität geschaffen. Wenn man allerdings den Titel seiner neuen Platte liest, muss man unweigerlich wieder an Dylan denken. Als "His Bobness" Ende der Siebziger plötzlich Jesus fand, waren nicht wenige seiner Fans entsetzt. Gut, das waren sie andauernd, aber diese Christenphase hatte durchaus einen besonders abgehobenen Touch, auch wenn der Rezensent aus persönlich-nostalgischen Gründen das vielseits gehasste "Slow train coming" in seinen Top-10-Dylan-Alben listen würde. Zurück zu Morby: Der seufzt auf einmal "Oh my God" und man fürchtet sich ein bisschen davor, was da wohl kommen mag.
Tatsächlich beleuchtet der Texaner auf seinem fünften Album seine Spiritualität. Dabei würde er sich selbst keinesfalls als religiös bezeichnen, wie er im Vorfeld der Veröffentlichung zu verstehen gab. Er erklärt seinen Ansatz wie folgt: "Religion ist überall um uns herum, sie ist eine universelle Sprache, die eine tiefe Schönheit in sich trägt. [...] Es geht nicht darum, wiedergeboren zu werden, sondern vielmehr darum, dass 'Oh my God' so ein bedeutungsschwerer Ausdruck ist, den wir mehrmals täglich verwenden und der so viele verschiedene Dinge meint." So fällt die angesprochene Aussage auch in vielen Songs des gleichnamigen Albums. Natürlicherweise im eröffnenden Titeltrack, der sich im Gebet danach sehnt, endlich nach Hause zu kommen. Dabei wird er von klimpernden Tasten, später auch von einem entrückten Chor und einem recht sexy geratenen Sax begleitet. Die folgende Erstauskopplung "Na halo" mit ihren anheizenden Handclaps ist eine Morby-Komposition bester Manier. Wieder greifen Saxofon und ein Chor ein, diesmal aber auch eine flirrende Querflöte. Zur Mitte gibt es einen wunderschönen Break, der die Stimmung weiter vertieft. Das klagende "Nothing sacred / All things wild" betrauert zur vibrierenden Orgel die Ungöttlichkeit im Ordinären, während "OMG rock'n'roll" das Tanzbein schwingt wie 1950, dabei aber eine ganz ungewöhnliche, weil gewollt diffus agierende, Rhythmussekti engagiert hat. Etwa eine Minute vor Schluss zerfällt der Song, der Chor und das Piano übernehmen und greifen die Leitfrage des Openers wieder auf: "Oh my God, would you carry me home?"
Beim großartigen "Hail Mary" muss man dann ein weiteres Mal den Dylan-Vergleich einwerfen. Wie der Song sich langsam hochjammt, als würde hier das erste Mal gemeinsam gespielt, das kennt man zum Beispiel von der Aufnahme von "The mighty Quinn (Quinn, the eskimo)" von "Self portrait". Morby macht das natürlich bewusst und rauscht auch nicht so unsensibel in Geschehen, wie Dylan im angesprochenen Titel. Der Song handelt von Krankheit und der Hoffnung auf Heilung, die Keys spielen munter auf, das Schlagzeug befeuert den trotz allem insgesamt sehr freudvollen Song, bis zunächst Bläser und dann eine fantastische Hammond-Orgel dem Ganzen die Krone aufsetzen. Schönes Zitat von zwischendurch: "Time's a funny motherfucker." Super ist auch "Seven devils", das ganz unscheinbar beginnt, am Ende jedoch eine durchaus satanisch verzerrte Elektrische den Song zersägen lässt und ihr dazu eine ganze Minute einräumt, um sich immer weiter zu steigern. Im Walzertakt erscheint "Piss river", eine Verlustballade, die zwischendurch erneut den Ausruf "Oh my God" aufgreift. "Savannah" unterwirft sich völliger Trostlosigkeit: "And when there's nothing better / We talk about the weather outside", heißt es da, während Morby tatsächlich die Trauerrede für eine geliebte Person probt. Mit "Storm (Beneath the weather)" folgen knapp anderthalb Minuten windiges Rauschen, die das zuvor Gesagte sacken lassen.
"I want to be clean" beginnt mit zahlreichen durcheinandergemurmelten Gebeten und begibt sich dann auf einen gemütlichen Folk-Spaziergang, in welchem Morby – endlich nüchtern – die Schönheit der Natur entdeckt. Seine Freude über das Erlebte spricht er in "Sing a glad song" aus, bis "Ballad of Faye" übernimmt und ohne Lyrics das Ende einläutet, welches "O behold" schließlich darstellt. Es thematisiert Leben und Sterben aus kindlicher Sicht. Morby wachsen Flügel, er richtet seinen Nahestehenden aus, dass er sie liebt, lässt schließlich die Gitarre los und steigt wie der biblische Jesus gen Himmel auf. So eine Billigaussage wie "einfach himmlisch" wäre jetzt schön einfach zu droppen, aber so unipolar ist "Oh my God" schlichtweg nicht. Es schaut zu und versucht zu verstehen, es ist verwundert , aber auch erstaunt, beeindruckt, aber auch ernüchtert, es zweifelt genauso wie es lobpreist. Na klar, Morby kann nur Konzeptalben, er muss umgraben und aufarbeiten. "Oh my God" hört man am besten, wenn man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll, wenn das Sein an sich mal wieder ratlos macht, ungefähr wohl so, wie der nackige Sänger da auf dem Artwork im Bett hockt. Ob in solchen Situationen der liebe Gott hilft? Dieses Album tut es jedenfalls.
Highlights & Tracklist
Highlights
- No halo
- Seven devils
- Hail Mary
- Savannah
Tracklist
- Oh my God
- No halo
- Nothing sacred / All things wild
- OMG rock'n'roll
- Seven devils
- Hail Mary
- Piss river
- Savannah
- Storm (Beneath the weather
- Congratulations
- I want to be clean
- Sing a glad song
- Ballad of Faye
- O behold
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dopelemon
2019-07-15 11:37:24
Eine der besten Rezensionen, die ich jemals gelesen habe. Beschreibt meine Gefühle zum Album zu 100%!
Loketrourak
2019-06-20 14:15:34
#TeamZatopek
Beim ersten Hören (ein wenig unkonzentriert) eher so so "Hm" - aber die Größe entfaltet sich. Sehr schöne Platte.
Karol Zatopek
2019-06-20 10:04:22
Das Album wächst mit jedem durchhören. Wunderbar!
Jennifer
2019-06-17 12:38:38
Hab die Postings bezüglich Morbys Auftritt mal in den Maifeld-Derby-Thread verschoben.
Palina R
2019-05-17 17:14:56
Oh my gold
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