Craig Finn - I need a new war
Partisan / Knitting Factory / PIAS / Rough TradeVÖ: 26.04.2019
Letzte Runde vor dem Zapfenstreich
Noch immer sitzen sie am Tresen, diese gebrochenen Helden, die sich mit jedem Schluck weiter von ihren früheren hoffnungsvollen Tagen entfernen. Schon bald, das wissen sie, bleibt ihnen nichts mehr übrig, als aufzustehen und in der Dunkelheit nach Hause zu torkeln, obwohl sie nichts erreicht haben, als eine weitere Narbe in den Barhocker zu schlagen. Zum Glück sammelt mit Craig Finn jemand ihre Geschichten, der sich schon seit den Anfangstagen mit The Hold Steady bestens in diesem Metier auskennt, all solchen Figuren mit einem liebevollen Blick die Beichte abnimmt und scheinbar immer einen Rat im Gepäck hat, auch wenn er noch so einfach ausfällt wie "Stay positive" oder "Be honest". Gerade auf "Faith in the future" und "We all want the same things" hat er sich jedoch vermehrt von seinen jugendlichen überlebensgroßen Helden wie Holly oder Gideon und ihren Hymnen verabschiedet, um den älteren, desillusionierteren und kaum gehörten Stimmen mehr Raum zu geben. Auf "I need a new war" führt er dies konsequent weiter, nur sind die wenigen überschwänglichen Momente, welche die Gestalten der Vorgänger auf dem Weg vom trauten Heim über den Parkplatz zur Kneipe erlebten, nun kaum mehr vorhanden.
Haben sich Finns Charaktere also früher wenigstens etwas Mut angetrunken, ist dieser mittlerweile bei der wohl letzten Runde der Album-Trilogie namens "I need a new war" längst verflossen, und die ohnehin schon recht bodenständigen Träume sind zu viel kleineren und selteneren Triumphen zusammengeschrumpft. Hofften Finns Figuren bei den vorigen Runden noch auf eine bessere Zukunft mit wiedervereinigter Familie oder wenigstens dem Umzug in eine Wohnung mit Balkon, ist es jetzt schon ein Lichtblick, sich nach 22 Jahren mit "A bathtub in a kitchen" daran zu erinnern, mal bei einem Kumpel auf der Couch geknackt zu haben. Was soll man auch tun, wenn man von der Außenwelt nichts mehr zu erwarten hat, und schon damit zufrieden wäre, wenn wenigstens mal der Paketbote klingelt? Eben. Entsprechend lakonisch spricht Finn sich durch seine songgewordenen Dramen wie "Grant at Galena", in dem nur die Pflege eines verletzten Vogels oder die Sehnsucht nach einem neuen Krieg einen Lebenssinn versprechen.
Fügen sich "Something to hope for" oder gerade "Blankets" beim ersten Hören noch ganz gut in Finns bisheriges Schaffen ein, kündigt sich selbst bei diesen Songs schon durch den Verzicht auf große Refrains an, dass es nicht mehr um die alles entscheidenden Erfolge geht, sondern nur um die kleinen Siege des Alltags, die in weniger kämpferische Soundgewänder gesteckt werden. Was zu vielversprechend ist, wird sofort wieder verworfen, "I found a savior / Then I lost him", resigniert Finn allzu treffend. So blitzt das Glück in den bedächtigen Songs eben immer nur flüchtig und kurz auf, treibt einem dann jedoch gerne eine kleine Träne ins Auge, wenn man es denn erkannt hat. Deshalb kann "I need a new war" auch erst nach vielen, vielen Durchläufen seine volle Wirkung erzielen, aber auf dem Weg dorthin wird man immer wieder mit einer neuen Entdeckung belohnt, sei es das Saxophon-Solo im wundervoll hin und herschunkelnden "Indications", die vielen Andeutungen wie die Twin Cities oder Pferderennen auf Finns vorheriges Werk oder der kathartische Spannungsbogen von "Anne Marie & Shane". Liebe auf den ersten Blick ist "I need a new war" so sicher nicht, dafür zählt es zu den großen kleinen Alben und macht mit seinen tragischen Geschichten immer wieder sprachlos. "Yes, it's hard to keep from crying / When there's nothing left to say", würde Finn einem mit einem schmalen Lächeln wohl sagen, bevor er einem tröstend auf die Schulter klopft, und damit aufs Neue beweisen, wie dankbar man um jede weitere Minute mit ihm als Weggefährten sein darf.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Blankets
- Indications
- Anne Marie & Shane
Tracklist
- Blankets
- Magic marker
- A bathtub in the kitchen
- Indications
- Grant at Galena
- Something to hope for
- Carmen isn't coming in today
- Holyoke
- Her with the blues
- Anne Marie & Shane
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Grizzly Adams
2022-10-04 20:46:29
Nach dreieinhalb Jahren bin ich also der erste nach Armin.
Der Opener „Blankets“ ist ein richtiges Ausrufezeichen. Toller Song. Insgesamt klingt CF auf diesem Album schon stark nach Springsteen. Und das gefällt. Zumindest mir. Es ist nicht sein stärkstes Album, aber reiht sich nahtlos in seinen sehr guten Solo-Output ein. Schwache Alben kann er eh nicht, liegt nicht in seiner DNA. dafür erzählt er einfach zu unterhaltsam und authentisch, wenn auch oft mit einem ironischen Augenzwinkern. 8/10
Armin
2019-04-18 20:58:03- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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