Benjamin Francis Leftwich - Gratitude

Dirty Hit / Caroline / Universal
VÖ: 15.03.2019
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Dem Streaming sei Dank

Wir müssen mal wieder über diese Algorithmen reden, die für viele so bedrohlich wirken. Jene, mit deren Hilfe Streaming-Dienste Millionen von Nutzern glücklich machen und uns vorführen, wie einfach wir zu durchschauen sind. Wir hören Song X und Y, und daraus errechnet dann ein Computer, dass uns Song Z auch gefallen müsste. Und siehe da: Song Z gefällt uns tatsächlich, und ohne diesen unheimlichen Algorithmus wären wir niemals auf ihn aufmerksam geworden. Wir können nach bestimmten Stimmungslagen suchen und uns sicher sein, dass der Streaming-Dienst unserer Wahl bereits eine von Maschinen kuratierte Playlist für uns parat hat. Man will entspannen, also sucht man nach "Relax" und stößt bei Spotify auf die Playlist "Relax and unwind", und wenn man die lange genug laufen lässt, hört man irgendwann "Tilikum" von Benjamin Francis Leftwich.

Diese Algorithmen sind es, die völlig neue Grade von Berühmtheit ermöglichen. Dank der Integration in besagten Playlists hat der genannte Song mehr Streams bei Spotify als zehn von elf Liedern der letzten Arctic-Monkeys-Platte. "Tilikum" ist ein spektakulär unspektakulärer Easy-Listening-Folk-Pop-Song, zu dem man gut "relaxen" und "unwinden" kann, über den man ansonsten aber keine weiteren Worte verlieren muss. Als Musikrezensent kommt man nicht umhin, sich angesichts dieser Verschiebungen im Musikbusiness einigermaßen ohnmächtig zu fühlen. Da kann man noch so vielen tollen Platten 7/10 Plattentests.de-Punkte geben, am Ende errechnet irgendwo irgendein Computer, welche Musik viele Menschen tatsächlich hören. Wir müssen mal über deses Phänomen reden, weil es schuld daran ist, dass Benjamin Francis Leftwich berühmt wird, für eine Plattform für Musikbegeisterte wie Plattentests.de aber fast egal bleibt.

Der Rezensent will dem unschuldigen, auf dem Album seinen Entzug verarbeitenden Briten nun wirklich nichts Böses. "Last smoke before the snowstorm", das 2011 veröffentlichte Debüt, ist ein wunderbar verträumtes, in der Ruhe lebendes Folk-Werk, das Vergleiche mit José González nicht scheuen muss. Dann kam aber die Liebäugelei mit elektronischen Elementen, die auf dem zweiten Album "After the rain" (auf dem auch "Tilikum" zu finden ist) begann und nun auf "Gratitude" ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Sie qualifiziert Leftwich zwar für Playlists mit den Namen "Relax and unwind", "Frühlingsgefühle" oder "Songs to sing in the car", sie lässt die Musik aber auch wie seelenlose, auf Massentauglichkeit und Überhörbarkeit getrimmte Fließbandmusik wirken. Abgesehen von dem Fakt, dass man sich an den Songs kaum stören kann, stören die Songs nicht.

Schleppende Beats und die Stücke zu dichten Soundklumpen verschmelzende Synthies spülen Tracks wie "Big fish" oder "Miracle sister" zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Alles sanft, alles soft. Besonders tragisch ist das, weil man zwischen den ganz sachte gehauchten Lyrics und gefühligen Ooh-Ooh-Backgroundgesängen schöne Gitarren-Motive hören kann, die sich im Soundgewand des Debüt-Albums als schöne Folk-Kleinode hätten entpuppen können. Algorithmus das sein?

(Simon Conrads)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Tell me you started to pray
  • Real friends

Tracklist

  1. Gratitude
  2. Look ma!
  3. Sometimes
  4. Big fish
  5. Tell me you started to pray
  6. Luzern
  7. I got you
  8. Real friends
  9. Blue dress
  10. Miracle sister
  11. Roisin
  12. The mess we make
Gesamtspielzeit: 40:36 min

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Armin

2019-04-04 20:28:08- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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