Weyes Blood - Titanic rising

Sub Pop / Cargo
VÖ: 05.04.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Soundtrack zum Verfall

Gut zitiert ist halb geklaut? Ach Quatsch. Ehre, wem Ehre gebührt, und mit ihrer Überschrift zu einem Interview mit Weyes Blood trafen die Kollegen von Pitchfork.com im Februar 2019 den Nagel doch sehr gezielt auf den Kopf: "Weyes Blood finds hope in a world that's going to hell", hieß es da – und es stimmt. Wenn man so eine subjektive Aussage überhaupt mit dem Prädikat "Richtig" versehen sollte. Auch wurscht eigentlich, da Natalie Mering alias Weyes Blood ohnehin macht, was sie will. Und das macht sie auch noch verdammt gut.

"Titanic rising", jenes Album, über das Mering im eingangs erwähnten Interview sprach, ist nämlich tatsächlich dieser eine kleine Hoffnungsschimmer, auf den man in den düstersten, dunkelsten Zeiten wartet, und doch auch irgendwie der Soundtrack zum unausweichlichen Verfall. Immerhin lässt sich der Untergang damit gut aushalten, ganz ohne Zynismus, aber zumindest mit einem kleinen Augenzwinkern: Das Musikvideo zur Leadsingle "Everyday" ist eine höchst amüsante Mischung aus B-Horror-Trash und Siebzigerjahre-Charme und steht damit im größtmöglichen Kontrast zu seinem ausgelassenen, euphorischen Stimmungsbild. Das schürte die Erwartungen an "Titanic rising", Merings drittes Studiowerk als Weyes Blood, die sie mit Genuss und der Unterstützung des dramatischen Openers "A lot's gonna change" gehörig auf den Kopf stellte.

Was nicht heißen soll, dass genau jenes Auf-den-Kopf-Stellen nicht natürlich auch zur Strategie der 30-Jährigen gehören dürfte. Den einfachen Weg können andere gehen, Mering übt selbst im Weltuntergangsmodus noch den Drahtseilakt mit Dreifachsalto zwischen einstürzenden Hochhäusern. Und die große Geste: Sei es im an eine nicht näher bestimmte, höhere Macht appellierenden "Something to believe", im vertonten Theaterstück "Picture me better" vor Himmelszelt-Kulisse oder im ästhetisch-ätherisch anmutenden "Movies": Merings Ode an die Apokalypse versteckt sich sicher nicht hinter kleinen Melodien, sondern spielt mit allen Mitteln gegen jegliches Zusammenbrechen an – mit Erfolg.

Den großen Coup hebt sich Mering jedoch für das Ende auf – dann, wenn sie wieder genau das macht, das man eben nicht erwartet hätte. Der Abschlusstrack "Nearer to thee" ist mit gerade mal etwas mehr als einer Minute Spielzeit eigentlich zu kurz für das vermutete große Finale, wenn der Untergang eben wirklich geschieht. Und dann singt Mering da nicht einen einzigen Ton, sondern lässt die sanfte Instrumentierung für sich sprechen. Harmonisch klingt das, ein bisschen nach Fünfzigerjahre-Idyll, nach Wiederaufbau, nach Zusammenhalt. Und danach, als habe man den großen Knall doch abwenden können. Andere brauchen für so etwas Armeen, Maschinen, Waffen, Pläne – nur diese Natalie Mering, die benötigt dafür nicht mal ganz 43 Minuten und ein wenig Aufmerksamkeit. Sie sei ihr stets gegönnt.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • A lot's gonna change
  • Everyday
  • Picture me better

Tracklist

  1. A lot's gonna change
  2. Andromeda
  3. Everyday
  4. Something to believe
  5. Titanic rising
  6. Movies
  7. Mirror forever
  8. Wild time
  9. Picture me better
  10. Nearer to thee
Gesamtspielzeit: 42:33 min

Im Forum kommentieren

Bonzo

2021-05-07 21:42:40

Andromeda ist ja unglaublich. Um die Referenzen hier noch mehr zu sprengen, würde ich sagen, dass das der beste ABBA-Song ohne ABBA ist.

tjsifi

2020-01-09 09:27:10

Die KEXP Sessions sind imo ganz toll:

aktuelle Songs:
https://youtu.be/N2xW563bb-4

etwas älter:
https://youtu.be/bIlLoLzP8zM

tjsifi

2019-12-19 13:25:54

Habe das ALbum total verpasst und bin gerade durch die PItschfork Top 50 darauf gekommen. Tolles Album!

Zitat:"You can parse out the weight, hope, and humor of Mering’s poetry, or you can sit back and let her dulcet tone and excellent taste in George Harrison-esque slide guitar wash over you."

Das trifft es perfekt!

Jennifer

2019-10-23 09:38:24

Auf der gerade veröffentlichten "Rough Trade sessions"-EP gibt es vier neue Versionen bekannter Songs vom Album. Ariel Rechtshaid war auch daran beteiligt:

humbert humbert

2019-10-22 01:17:28

@kidd
Jeder wie er hört. Sind jedenfalls interessante Referenzen von uns: Muse, deutscher Schlager, Coldplay.

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