
Living Hour - Softer faces
KanineVÖ: 01.03.2019
Geträumte Details
Jetzt mal die Hände hoch, wer etwas mit Dream Pop anfangen kann. "Softer faces" von Living Hour könnte nämlich wirklich etwas für Euch sein. Klar, hypnotische, in die Weite geträumte Melodieführungen gibt es natürlich zu Hauf und diese aus einer festen Gemütsruhe heraus pendelnden Gitarrenschleifen findet man auch überall. Aber die kanadische Kapelle um Samantha Sarty baut auch kleine Verschiebungen in der Dynamik und klangliche Extras ein. Das geht schon fein beim eröffnenden "Hallboy" los: Recht unerwartet nach gemächlichem Schwelgen bollert das Schlagzeug weich abgefedert entschlossen nach vorne, um im weiteren Verlauf noch einige goldene Trompeten-Klänge einzugemeinden. Neben dem leicht verdrogten Schwebezustand, der quasi die Grund-Identität der meisten Songs ist, wird also noch einges mehr geboten.
Der Nachtschatten-Walzer "Bottom step", welcher sich erst beiläufig entrollt, bekommt durch die süßlich hohen Gesangstöne Sartys im Refrain eine emotionale Zuspitzung, die wiederum durch warme Bläser in eine diffuse Weite entlassen wird. Das Hin und Her zwischen konzentrierter Ausarbeitung einiger Details und dem übergeordneten, weichen Fluss der Songs als Ganzem sorgt sowohl für Beweglichkeit als auch für Nervenkitzel, der den Hörer in einer fast beiläufigen Anspannung hält. Der verwaschene Kanon von "I sink I sink" könnte einfach so vorbei sprudeln, doch der Text, der in Wellen heranschwappt, sorgt für betäubtes Ungemach: "I sink I sink / again and again / I think I think / That this is the end." Das darauf durch Bläser und Streicher eine sommerliche, mit Gemütlichkeit ausgestattete Sonnenuntergangsbeschallung folgt, ist ein hervorragender Beweis für die ambivalente Mehrdeutigkeit der Stücke.
Der aus einer unter glühendem Himmel erwachsenen Trägheit hervorhoppelnde Refrain von "Water" wirkt hingegen munter verspielt, die bluesigen Licks in "Before you leave" zeugen konträr dazu von einer urbanen Einsamkeit jenseits der eigenen vier Wände. Viele Stimmungen also, die sich innerhalb dieser recht homogenen Platte dem Hörer offenbaren. Der Gesang von "No past", scheinbar körperlos und mit fatalistischem Gestus, wirft einen bläulichen Schatten auf dieses Album und etabliert eine runtergekühlte Leidenschaft, die durch das einsetzende Schlagzeug erst spät eine Richtung bekommt. "Slow shines" wirkt da trotz hypnotischem Gesangsmantra deutlich diesseitiger, die Gitarrensaiten funkeln in der Sonne und das Schlagzeug produziert einen verhuschten Shuffle. Es sind immer wieder die Kleinigkeiten, die aus "Softer faces" etwas Bemerkenswertes machen, so das unterschwellige Orgelbett von "Inside", welches dem feierlichen Gesang erst einen eleganten Untergrund bietet und in "Most" sakral eingefärbt einen ätherischen Schlusspunkt setzt. Und das könnte auch denjenigen gefallen, die kein Hope-Sandoval-Poster an der Wand haben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- I sink I sink
- Before you leave
- Inside
Tracklist
- Hallboy
- Bottom step
- I sink I sink
- Water
- Before you leave
- No past
- Slow shines
- Inside
- Most
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myx
2024-03-13 20:14:40
Übersehene Perle. Weich fliessender Dream Pop mit interessanten Details und wechselnden Stimmungen, wie es in der Rezi schön heisst. Entsprechend viel gibt es in den knapp vierzig Minuten zu entdecken. 7/10 passt.
Armin
2019-03-28 20:37:52- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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