Elizabeth Colour Wheel - Nocebo

The Flenser / Deathwish
VÖ: 15.03.2019
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Bruch-Fest

Wer kennt dieses Gefühl, einer bestimmten Musik ausgeliefert zu sein und dieser wehrlos gegenüberzustehen? Dem Rezensenten ging es das erste Mal so bei einem Konzert von ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead im Jahre 2002, als er so eben einen gesplitterten Gitarrenhals an den Schädel bekam und nicht wusste, wohin mit all den rauschhaften Gefühlen. Zuletzt vermittelte vielleicht Anna Von Hausswolff diesen Eindruck des Entfesselten, mit ihrem Harpiengesang und der mächtig ausholenden Todesorgel. Beides fließt zumindest ansatzweise bei der aus dem Bostoner Umland stammenden Fünfertruppe Elizabeth Colour Wheel zusammen. Klanglich mit allem verbandelt, was an Gitarrenmusik auch schon in den Neunzigern für Freude sorgte, haben sie mit Lane Shi auch noch eine Anführerin, die mit ihrem dem Wahnsinn oftmals auf die Pelle rückenden Gesang klaffende Wunden in die Songs reißt.

Wenn das Debütalbum "Nocebo" mit "Pink palm" direkt alles von Grunge über Stoner zu Shoegaze abarbeitet, dabei zwischen wildem Galopp und niederliegendem Totalschaden wechselt und Shi auch noch die mentalen Extreme durchdekliniert, wendet man sich entweder erschrocken ab oder stürzt sich mittenrein. Fakt ist auf jeden Fall, dass hier bereits in den ersten sieben Minuten ein Potenzial sichtbar wird, das einen fast einschüchtert. "Somnambulist", dieses Wiegenlied im Bannstrahl von statischem Rauschen, bereitet dann auch nur ungenügend auf das Ungetüm "23" vor, dessen vom Grunge und Shoegaze geformte Heavyness durch Shis Gesang in eine gewisse Anmut gepresst wird. Diese schadhafte Eleganz verweist jedoch immer auf einen schmerzenden Stachel, der irgendwo tief im Fleisch sitzt. Soll heißen: Was gerade noch herrschaftlich mit großer Wirkmacht tönte, bricht entweder mit jeder Menge Funkenschlag zusammen oder kippt in die geistige Umnachtung. Paranoia, der Kontrollverlust hin zur Hysterie, dies ist die Kehrseite manch kraftvoller Passage. Und so hat man nicht nur in diesem Song das Gefühl, dass hier mentale Korrektive wegbrechen, und man schaut Lane Shi verblüfft dabei zu, wie sie sich der Verrücktheit um den Hals wirft.

So wirkt "Life of a flower" auch nur kurzzeitig wie ein verwunschenes Waldlichtungsidyll, Shi klammert sich an ein verletzliches, aber auch gefährlich anmutendes Wimmern, und es dauert nicht lange, bis sie einen alles verschlingenden Wehgesang anstimmt, der die musikalische Struktur zu zerbrechen droht. Auch die eher gemäßigten Momente wie in "Bedrest" tragen Verfall und Beschädigung in sich, so wirbeln die paar bratzigen Gitarrenakkorde hier nur etwas Schlamm am Grunde eines Sees auf. In "Hide behind (Emmet's song)" jedoch scheinen Instrumente und Gesang in dem selbst erzeugten Strudel aus Intensität und Kontrollverlust unterzugehen. Das Haltlose, gepaart mit ruhigen Momenten, die eher die fatale Ruhe nach dem Sturm abbilden, ergibt ein trostloses Bild. Doch dennoch erlebt man vieles wie im Rausch auf dieser Platte, die Hysterie der Band wird zur Euphorie, man lässt die Vorsicht fahren und wirft sich hinein ins Getöse, halb betäubt gewahrt man dann noch, dass Shi in "Head home" mit ihrem Gesang die totale Entgleisung mühsam in Zaum hält, doch bittet man fast um den nächsten Zusammenbruch mit Totalschaden. Denn, wenn alles zu Grunde gegangen ist, kann man auch nichts mehr verlieren.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Pink palm
  • 23
  • Hide behind (Emmet's song)

Tracklist

  1. Pink palm
  2. Somnambulist
  3. 23
  4. Life of a flower
  5. Hide behind (Emmet's song)
  6. Bedrest
  7. 34th
  8. Head home
Gesamtspielzeit: 47:23 min

Im Forum kommentieren

u.x.o.

2023-10-16 20:59:20

Lane scheint wohl ausgestiegen zu sein. Man findet online kaum etwas, nur auf ihrer IG-Seite schreibt sie in ihrer Story "I don't wanna be trigged or talked back to the band anymore. Stop doing that entirely. Thank you."

Wenn sich zwei Lieblingsbands am selben Tag auflösen, ist das echt bitter.

Der Nocebo-Nachfolger soll ja schon im Kasten sein, ob man den wohl zumindest noch zu hören bekommt?

AVMsterdam

2019-04-01 12:52:25

Toller Klang, teils repetitive Songs.

y

2019-03-21 20:52:22

Humor ist zwischendurch auch mal wichtig!

Lisbeth Farbrad

2019-03-21 19:32:50

In einem Universum, in dem Black Moth existiert, braucht man diese abgespeckte Version hier eigentlich nur bedingt.

Voyage 34

2019-03-21 13:51:03


Hat der Band Name ne Bedeutung die sich mir noch nicht erschließt? Klingt so nach aneinandergereihten Vokabeln.

Die Band hat sich nach dem Song der Lilys benannt (ein MBV Klon aus den frühen 90ern).

Finde das Album super. Hide behind (Emmet's song) ist groß.


Merci!

Album gefällt wirklich gut. Braucht aber denke ich noch etwas um sich bei mir richtig zu entfalten.

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