Test Dept. - Disturbance

One Little Indian / Indigo
VÖ: 01.03.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Stachel im Fleisch

England, um Himmels willen, England. Ein Satz, den Test Dept. bestimmt unterschreiben würden. Schließlich gilt die Truppe aus London von jeher als Stachel im Fleisch britischer Befindlichkeiten. Auf ihr Konto gehen unter anderem eine Platte mit streikenden Bergarbeitern, ein neoklassizistisches Orchesterwerk über die mitunter zweifelhafte imperialistische Geschichte des Landes, ätzende Kommentare zum Thatcherismus und eine Vertonung des britischen Heldenliedes "Y Gododdin" – inszeniert mit martialischem Buntmetall-Industrial, Dark Ambient oder Collagen aus Dudelsäcken und Demonstrations-Sprechchören. Ähnlich monumentalen Bombast fand man zuletzt auf These New Puritans' donnerndem Prachtstück "Hidden" – bei Test Dept. hatte es sich zu dieser Zeit nach halbherzigen Techno-Gehversuchen ab 1997 schon längst ausgescheppert.

Doch der Titel dieses Comebacks deutet es bereits an: Paul Jamrozy und Graham Cunnington stört nach wie vor eine ganze Menge. Fremdenfeindlichkeit und Brexit-Chaos im Vereinigten Königreich, Kapitalismus und Klimawandel weltweit – und vorsichtshalber betont das zum Duo geschrumpfte Kollektiv im Vorab-Video: "Yes, it's fucking political." Denn im Grunde hat sich in den letzten knapp 35 Jahren gar nicht so viel verändert. Genauer gesagt, seit Test Dept. auf ihrem Meisterwerk "The unacceptable face of freedom" stählernen Percussion-Overkill mit robustem Elektro-Funk und bedrohlichen Soundscapes verschweißten. Und da die Briten das am besten wissen, nimmt es nicht wunder, dass "Disturbance" oft auf Motive des 1986er Klassikers zurückgreift und sie unter modernisierten Produktionsbedingungen zu stellenweise noch imposanterer Übergröße aufpumpt.

Übrig bleibt der verwüstete, menschenleere Konzertsaal auf dem Cover, den nur noch glutäugige Hyänen durchstreifen – als hätten Test Dept. die Räumlichkeiten alleine mit der Power dieses kämpferisch polternden Albums auseinandergenommen. Da trommelfeuert die Auskopplung "Landlord" als elektronisch grundierter Gewaltmarsch durch die Schaltzentralen der Wirtschaftsmacht und hinterlässt nur mehr qualmende Trümmerberge – nicht ohne den mittachtziger Muskel-EBM-Track "Fist" zu beleihen. "Gatekeeper" hingegen baut den gespenstischen Totengesang "Corridor of cells" mit subtiler Bösartigkeit und rhythmischem Säbelrasseln zur Industriebrache um und katapultiert "The unacceptable face of freedom" endgültig in eine von einem zerfallenden Europa und Donald Trumps Mauerplänen bestimmte Gegenwart. Schön unbequem hier.

Was zu erwarten war, zumal "Disturbance" bereits eingangs mit dem kolossalen Noise-Hop "Speak truth to power" gewaltig auftrumpft und "Full spectrum dominance" die Abscheu vor globalen Kriegszuständen per sequenziellem Vorschlaghammer kommuniziert. Waffen werden durchgeladen, Kampfbomber fliegen tief, und schon ein Stück später landet das bassig illustrierte Schreckensszenario zum "Information scare" verzerrt in den Medien – begleitet von einem Splitter-Groove und dem scharfen Elektro-Wumms, der Test Dept. schon immer von den kunstbeflisseneren und weniger straighten Kollegen Einstürzende Neubauten oder In The Nursery abhob. Ein Funken Hoffnung? Glüht auf diesem grimmigen Kraftpaket von einem Album allenfalls in den Klangschalen von "Two flames burn". Der Rest ist bittere Realität – und großes Lärmkino.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Speak truth to power
  • Landlord
  • Gatekeeper

Tracklist

  1. Speak truth to power
  2. Landlord
  3. Debris
  4. Full spectrum dominance
  5. Information scare
  6. Gatekeeper
  7. GBH84
  8. Two flames burn
Gesamtspielzeit: 45:42 min

Im Forum kommentieren

Lugee

2019-03-09 18:48:05

Gefällt mir. Ein paar Klassik-Samples à la frühe Laibach, tibetanische Anleihen (23 Skidoo) … und der gewohnte & liebgewonnene ;-) Groll.

Neussss

2019-03-09 00:10:07

Album kenne ich noch nicht, aber schön dass sie wieder da sind.

Armin

2019-03-07 20:35:12- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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