
FTR - Manners
Metropolis / SoulfoodVÖ: 15.02.2019
Veitstanz in der Tiefkühltruhe
Die Zukunft ist nicht mehr das, was sie mal war. Schale Binsenweisheit an der Grenze zum Altsarkasmus, hier jedoch zutreffend: Als FTR aus Paris 2015 ihr Debüt "Horizons" veröffentlichten, hießen sie noch Future. Seitdem haben Yann Canévet und Brice Delourmel zwar die Vokale im Bandnamen eingebüßt, aber mit Pauline CP eine Keyboarderin hinzugewonnen. Und nicht etwa eine Zahnarztbohrer-Virtuosin, auch wenn die ersten Sekunden des Openers "Collision" mit aggressivem Feedback aus dem Behandlungszimmer diese Vermutung nahelegen. Zum Glück setzen schnell Drum-Machine im Speedrausch und dynamischer Basslauf ein und reduzieren das Ziehen an den Beißerchen beträchtlich – trotzdem ist von Anfang an klar, dass die Post-Punk-Variante, die FTR auch Coldgaze nennen, nicht nur in mancunischen Übungskellern der ausgehenden Siebziger, sondern auch in New Yorker Effektpedalschmieden wurzelt. Freude durch Krach – wer Joy Division sagt, muss auch A Place To Bury Strangers sagen.
Allzu wegweisend mutet der FTR-Zweitling mithin zugegebenermaßen nicht an, funktioniert dafür aber umso besser als Zerrspiegel, in dem sich die Geräuschwelten von einst und jetzt knirschig vereinen. Auch "Cross your heart" sendet direkt aus dem Herzen der ohrenbetäubenden Shoegaze-Finsternis, lässt die Beats wild mit mächtigen Gitarren-Drones kollidieren und glänzt wenn nicht mit ausgesuchter Virtuosität, dann doch mit einer ungehobelten Wucht, inmitten derer die Lärmwände Canévets verhalltes Zischeln fast verschlucken. Den Begriff Pop also bitte mit Vorsicht genießen, wenn das Trio in Interviews die relative Eingängigkeit von "Manners" betont und diese mit dem vergleichsweise luftig daherstampfenden Uptempo von "Chances" grimmig untermauert: Die Rhythmusgruppe bittet zum Veitstanz in der Tiefkühltruhe, Delourmels Leads setzen sich jaulend gegen schmurgelndes Getöse zur Wehr, und sogar den Allerwertesten kann man irgendwie dazu schwenken. Ein Hit mit Eispickel und frisiertem Schneemobil.
Ähnlich rasant gibt sich erst gegen Ende der elektronisch durchzuckte Space-Rocker "One" – zuvor geht es tieffrequenzig wühlend durch das immer wieder verlässlich von Kreischsägen-Riffs zerstückelte "Love bots", während "Sunrise" tonlos auf einem mutwillig unrunden Drum-Loop vorwärts torkelt und in seiner klirrenden Kälte annähernd an The Soft Moons formidabel entmenschtes "Zeros"-Album heranreicht. Angesichts der herrschenden Minusgrade beinahe ein höhnischer Treppenwitz, dass die Analog-Synthies des doppelbödig zischelnden "Never" ausgerechnet den Früh-Elektro-Klassiker "Warm leatherette" von The Normal zitieren, der nur scheinbar Behaglichkeit suggeriert – ein Stück, das man idealerweise bei ausgefallener Autoheizung hört, um sich bei spiegelglatter Fahrbahn die Zeit im nächtlichen Superstau zu vertreiben. Und immer dran denken: Der nächste Winter kommt bestimmt. Ein Satz, der nach "Manners" wie eine Verheißung klingt. Darauf einen Eimer Frostschutz.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Collision
- Cross your heart
- Chances
- Never
Tracklist
- Collision
- Cross your heart
- Black sand
- Chances
- Love bots
- Right track
- 10327
- Sunrise
- Never
- One
- Breathe
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MM13
2019-03-03 13:33:32
ziemlich heftiges,düsteres brett aber trifft voll mein geschmack,ich steh auf diese post-punkwave sachen,wie damals auf die originale.
Armin
2019-02-28 20:23:34- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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