Charlotte Brandi - The magician

PIAS / Rough Trade
VÖ: 15.02.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Die mit dem Feuer tanzt

Charlotte Brandi liebt den scheinbaren Widerspruch. Anders ließe sich jedenfalls nicht erklären, warum sie einen Song über ihre Kindheit im Ruhrgebiet, dem bekanntlich wertvollsten Kulturort Europas, "My days in the cell" nennt. Passenderweise heißt ihr Solo-Debüt auch "The magician", obwohl es mit Illusionen und Taschenmagier-Tricks nicht weniger zu tun haben könnte. Im Gegenteil hat die singende, nicht drummende Hälfte von Me And My Drummer mittlerweile jede Pose abgelegt und präsentiert ihr künstlerisches Ich so ungefiltert wie nie der Öffentlichkeit: "Ich bin nun mit mir und der Musik in einer schönen Balance. Es fühlt sich endlich nach mir und nur mir an." Dazu gehört auch das Loslösen vom athletischen Synthie-Sound ihrer ehemaligen Band, Brandi macht jetzt – ein weiterer O-Ton von ihr – "holzigen Soul-Folk". Hölzern ist an "The magician" allerdings gar nichts und Zauberei ist es auch nicht, auch wenn es manchmal danach klingt.

Es ist natürlich gerade bei diesem Albumtitel furchtbar abgedroschen, aber eine geeignetere Beschreibung als "Magie" lässt sich für den unmenschlich gut arrangierten und komponierten Opener "Veins" nun wirklich nicht finden. Ein Meer aus Streichern und Frauenchören stürmt und beruhigt sich wieder, legt in den Strophen Anflüge von Jangle-Gitarren offen, während Brandi nie die Kontrolle über ihr opulentes, aber nicht aufgesetztes Wunderstück verliert. Die schon auf "Love is a fridge" angedeutete Hinwendung zum Organischen vollzieht sich auf "The magician" völlig, die Wahl-Berlinerin spannt ihre ausladenden Melodiebögen über von Klavier und Mini-Orchester dominierten Soul- und Jazz-Pop. Da legt die stimmliche Gymnastik der Retro-Soul-Ballade "Jenny in spirit" eine Sozialisation im von Motown bestimmten Detroit näher als im Dortmund-Hörde der Neunziger, während sich das Piano-Instrumental "Sitting bull" zwischen Bar-Jazz und Erik Satie positioniert.

Wer Me And My Drummer für ihren Eklektizismus vor allem auf der zweiten Platte schätzte, wird vom deutlich resoluter umrahmten Klangbild von "The magician" womöglich etwas irritiert sein. Doch die neue Homogenität sorgt nicht nur für einen reibungslosen Albumfluss, sie legt Brandis wahnsinnig hohes Songwriting-Niveau erst so richtig offen. Da bleibt einem beim melodisch zig Haken schlagenden "Defenseless" gar keine andere Wahl, als es der Erzählerin gleichzutun und vor dieser puren musikalischen Klasse zu kapitulieren. Auch die Texte offenbaren eine ähnlich cineastische Qualität. "Two rows" liefert im Promo-Text eine Skizze der hier vermittelten Kopfkino-Szene, erzählt von einem am Bahnhof stehenden Mann, dem angesichts von Macht- und Heimatverlust nur noch die Erinnerung ans schönste aller menschlichen Gefühle bleibt: "You can always, baby, always give me a call."

Besonders eindrücklich geraten die Momente, in denen sich das Album von seiner Midtempo-Getragenheit entfernt – wenn sich das eingangs erwähnte "My days in the cell" etwa zwischen Mariachi-Flair und Flöten-Folk einen exzessiven Ausbruch gönnt oder der schnelle, von einem tollen Gitarrenriff geprägte Soul-Rock von "A sting" am ehesten an die Ex-Band erinnert. Leider hält sich "The magician" auch ein bisschen selbst vom ganz großen Wurf ab, indem es etwas zu viel von allem auftischt und der unter den instrumentalen Schichten begrabenen Intimität nicht immer die nötige Luft gibt. Es wäre aber auch langweilig, wenn Brandi sich auf ihrem Solo-Debüt schon nicht mehr verbessern könnte, und das hohe Maß ihrer musikalischen Dompteurs-Kunst ringt einem auch hier schon nichts als Bewunderung ab. Was die alte Gedankenleserin im finalen "New linen" dann sogar selbst formuliert: "You dance with fire / You're in control." Magisch.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Veins
  • Defenseless
  • My days in the cell
  • A sting

Tracklist

  1. Veins
  2. Defenseless
  3. My days in the cell
  4. Two rows
  5. Jenny in spirit
  6. Sitting bull
  7. Aliferous
  8. A sting
  9. A word
  10. Where the wind blows
  11. New linen
Gesamtspielzeit: 50:38 min

Im Forum kommentieren

squand3r

2019-03-13 19:30:19

wow, die Platte sollte unter keine Umständen untergehen. Brandi's englischer Gesang ist dermaßen stilsicher und confident, da würde kaum einer darauf kommen, dass es sich um eine deutsche Interpretin handelt. Höre hier ganz stark Feist und Shingai Shoniwa (Noisettes) heraus - 'Two Rows' würde ich zudem auch auf die Highlights-Liste setzen.

Armin

2019-02-28 20:21:17- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2018-11-05 19:17:41- Newsbeitrag

Charlotte Brandi, ehemals Sängerin, Gitarristin, Keyboarderin des Indie-Duos Me And My Drummer, wird am 15.02.2019 ihr Solo-Debütalbum “The Magician“ auf [PIAS] Recordings Germany veröffentlichen!



„The Magician“ ist ein bemerkenswertes Album, weil es keine Kompromisse zulässt: Der Klang ist aufwändig, die Instrumentierung üppig, die Qualität der Arrangements sensationell.




Prägendes Instrument ist das Klavier: Charlotte Brandi brachte sich als Kind selbst das Klavierspielen in ihrer Geburtsstadt Dortmund bei.

…und eben dort hatte die mittlerweile in Berlin ansässige Künstlerin 2015 nach einem schweren Fußbruch Zeit, sich ihrer Solo-Karriere zu widmen.



Nach „Two Rows“ erscheint heute das Video zur zweiten Single „My Days In The Cell“.



Den Clip hat Charlotte zusammen mit ihrer Schwester Emily Brandi – die hier die Regie übernahm - in ihrer Heimatstadt gedreht.

"‘My Days In The Cell‘ zeigt einen speziellen, sehr einsamen Teil meiner Seele in den Neunziger und Nuller Jahren, als ich als junges Mädchen in Dortmund-Hörde gewohnt habe.“ sagt Charlotte Brandi und ergänzt: „Dieses Stück Seele wird dargestellt von Mathis Wagenbach. Meine Schwester konnte mit dem Gefühl aus unserer Kindheit sofort viel anfangen - so lag es nahe, dass sie Regie führt. Im Video sind wir an Plätze gegangen, an denen ich als Teenie mit Musik auf den Ohren stundenlang spazieren ging. Meine damalige Innenwelt wird in diesem Video demnach zu einer Figur, die sich auf den Weg durch diese seltsame Umgebung macht."



„Oh in the nights/ I can feel it/ There‘s an end to everything/ To my shy smile/ Your soft hands/ To our days in the cell“, heißt es in dem mitreißenden Song.



Track list The Magician:
1. Veins
2. Defenseless
3. My Days In The Cell
4. Two Rows
5. Jenny In Spirit
6. Sitting Bull
7. Aliferous
8. A Sting
9. A Word
10. Where The Wind Blows
11. New Linen



Im Frühjahr nächsten Jahres wird Charlotte Brandi mit ihrer 4-köpfigen Band auf „The Magician Tour 2019“ gehen und folgende Städte besuchen:

04.04. Leipzig – Naumanns
05.04. Erfurt – Franz Mehlhose
06.04. Mainz – Schon Schön
07.04. München – Ampere
08.04. A-Wien – Chelsea
10.04. Nürnberg – Club Stereo
11.04. Hamburg - Nochtspeicher
12.04. Berlin – Silent Green
14.04. Dresden – Polimagie Festival @ Beatpol

Der VVK startet am 07.11.18 um 12:00


Armin

2018-09-07 12:34:45- Newsbeitrag

„Two Rows“ heißt die erste Single von Charlotte Brandi, die am 07.09. erscheint und mit der wir die in Berlin lebende Künstlerin bei [PIAS] Recordings Germany begrüßen!







Ungeschönt, ungeschminkt und trocken malen die Strophen Szenen von verlassenen Bahnhöfen mitten im Nirgendwo. Dort sind Verliebte gestrandet und vertreten sich ungeduldig die Beine, weil der Zug nicht kommen will, der einen zu seiner Geliebten bringen soll. Szenen des Wartens und der Einsamkeit beschreiben eine triste Außenwelt und zugleich ein aufgewühltes Inneres der Protagonisten. Doch der Trost, den diese Protagonisten so dringend brauchen, spendet dann der Refrain, der wie eine üppige Oase, wie ein schöner Sonnenaufgang im Song sitzt und den scheinbar in Raum und Zeit verlorenen Figuren auf ihren Schollen zuruft: „If there´s no distinct sign at all / You can always, Baby, always give me a call“.



Mit „Two Rows“ kündigt Charlotte Brandi auch ihr Solo-Debütalbum „The Magician“ an, das Anfang 2019 über [PIAS] Recordings Germany erscheinen wird. Es ist ein eleganter Song, voller Jazz- und Pop-Sensibilität, mit Streichern und Chören, geschrieben am Piano, gesungen mit einer Stimme, die zwischen tiefen und hohen Tönen wechselt – man denkt an Feist und Tori Amos, an Nina Simone und Joni Mitchell.



Charlotte Brandi kennen wir als Sängerin, Gitarristin, Keyboarderin des sehr erfolgreichen Berliner Indie-Duos Me And My Drummer. Die Band hatte zwei Alben veröffentlicht, zählte live zu den besten deutschen Indie-Acts. Es lief super, jetzt ist die Band am Ende. Eine schmerzhafte Wendung. Charlotte Brandi ist jedoch sehr froh, schon vorher dieses Solowerk in Angriff genommen zu haben.



Die Single „Two Rows“ ist eine exzellente Vorbotin für das Album. Sie zeigt ein erstes Kapitel dieser Geschichte, sie führt an besondere Orte, zeigt besondere Gefühle, klingt dabei überhaupt nicht weinerlich. Im Gegenteil: Charlotte Brandi erweist sich als neue großartige Singer/ Songwriterin/ Storytellerin, die mit ihren ersten eigenen Aufnahmen sofort internationales Format erreicht.



Livetermine sind wie folgt:

19.09. - Hamburg - Mojo Club (Reeperbahn Festival - Wunderkinder)

21.09. - Hamburg - Schulmuseum (Reeperbahn Festival - Wunderkinder)

22.09. - Hamburg - Molotow Backyard (Reeperbahn Festival - Showcase)

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