Karlsson - Rauhfaseridyll

Disentertainment / Broken Silence
VÖ: 15.02.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Die Gegend, die man kennt

Jaja, die Tapete – ob rauhfaserig vermodert, mit Alpina Weiß überstrichen, ob zugekleistert mit romantischen Sonnenuntergangs-Postkarten, mit Konzerttickets, mit Metal-Postern oder mit schick gerahmter Urban-Fotografie: Nichts ist dem Mensch so nah wie die eigenen vier Wände, jener Rückzugsort im "Rauhfaseridyll", wie Karlsson aus Köln ihn umschreiben. Sinnbildlich steht die stumme Wandverkleidung hier, wie bei schon etlichen Vertretern des Genres zuvor, für den gefühlten Stillstand – aber auch für all die Umwälzungen psychischer und sozialer Natur, denen man im Alltag ausgesetzt ist, und die man meist ähnlich stoisch hinnimmt. Wahrlich eigenständig oder bahnbrechend neu ist diese Metapher im Kontext sozialkritischer wie befindlichkeitsorientierter Themen nicht, aber Karlsson kommen sehr gut damit klar, einfach "nur" eine weitere Band zu sein, die deutschsprachigen Indie-Punk macht.

Ebenjene Unaufgeregtheit hört man ihrem liebevoll aufgemachten Debütalbum auch an, im positiven Sinne. Der eingängige Opener "Südafrika" hüpft in dreieinhalb Minuten hektisch und aufgewühlt von wachsendem Hass und Bitterkeit im Land hin zur Persönlichkeitskrise, und dann mal eben um die Welt – auch eine Art Rückzug aus der von Zweifeln und Unverständnis überquillenden heimischen Blase. Die Gitarren rauh wie der vertrocknete Acker und das Szenario nochmal ein Stück destruktiver, beobachten Karlsson im kräftigen Midtempo-Rocker "Schwule Könige" Menschen auf einem westfälischen Schützenfest, die stolz ihrer Tradition nachgehen. "Das Gewehr an der Schulter / Symbol für ihren Frieden / Alles auf Anfang." Dabei verurteilen Karlsson nicht per se, mit Ausname der offen nationalistischen und homophoben Aura solcher Feste, sondern hinterfragen vielmehr, wie Menschen sich ihr individuelles Selbstbild konstruieren, und dieses in der heute aufgeladenen sozialen Atmosphäre bis aufs Messer verteidigen.

Ebenso traditionell wie Bier und Bratwurst sind kleine, aber feine Punkrock-Hymnen wie "Der alte Boxer" die musikalischen Happen der Rheinländer. Songs, die sich wunderbar alleine gegen die Rauhfasertapete, aber auch mit Freunden bei einem bis acht Bier in die Welt schreien lassen. Doch Karlsson können nicht nur polterndes Schema F, sondern lassen immer mal Luft an ihr Songwriting. Dabei schrecken sie vor ruhigen, in sich gekehrten Momenten nicht zurück, wie "Hundeleben" oder "Deine letzten Jahre" als dramaturgisch feines, an alte Jupiter Jones erinnerndes Stück zeigen. "Hey Belane" greift dann nicht nicht nur den Bordstein als Bild auf, sondern fügt sich auch soundtechnisch ziemlich nah an die von Muff Potter um die Jahrtausendwende verlegten Pflastersteine. Und dürfte man nur einen einzigen Satz zum Wesen dieser Platte stricken, landet man vielleicht wieder bei Nagel und Co. und der altbekannten Frage, die auch die neue Generation Emopunk wohl nicht auflösen wird: "Ist das hier, was man Leben nennt / Oder nur die Gegend, die man kennt?" Und das darf ausdrücklich als Lob verstanden werden.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Schwule Könige
  • Hey Belane
  • Der alte Boxer
  • Deine letzten Jahre

Tracklist

  1. Südafrika
  2. Schwule Könige
  3. Hey Belane
  4. Und es ändert nichts
  5. Rauhfaseridyll
  6. Der alte Boxer
  7. Zwischen den Zeiten
  8. Marathon
  9. Hundeleben
  10. Deine letzten Jahre
  11. Tage meiner Zuversicht
  12. Heimspiel
Gesamtspielzeit: 39:52 min

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MartinS

2019-02-16 21:16:06

Beim ersten Eindruck extrem nah an Muff Potter und das ist nun wirklich nichts Schlechtes.
Mir gefällt's vor allem musikalisch, die Texte sind aber bisweilen schrecklich mit ihrem "buhuuu, die tiefen Gläser, das Saufen, die Schmerzen, die Theke, die Spelunken dieser Stadt...schnüff"

Armin

2019-02-14 21:25:32- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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