
Henry Jamison - Gloria duplex
Akira / The OrchardVÖ: 08.02.2019
Behütet in der Hölle
Mittelschicht, aus gutem Hause: Dies sind nicht gerade die besten Vorraussetzungen, um aufregende Songs zu schreiben. Und Spannung ist vielleicht auch nicht das vorherrschende Element in den Songs von Henry Jamison, dem aufstrebenden Songwriter aus Vermont, außer man meint jene der soziokulturellen Art in Jamisons Heimat. Die Mutter Englisch-Professorin, der Vater Komponist, standen Jamison schon früh die Wege offen, eine Musikerkarriere anzustreben. Talent kommt aber schließlich nicht von den sozialen Strukturen, und so würde das alles nichts nutzen, hätte der gute Henry nicht die Mittel bei der Hand, seine Geschichten aus der wattweichen Wohlstandshölle mit Verve und Ironie zu erzählen.
Musikalisch ist nicht nur "In march" recht brav aber liebevoll ausgerarbeitet. Weiche Streicher, arrangiert von Rob Moose, der diesen Job schon für Bon Iver übernommen hat, und das vertraute Plingern der Akustikgitarre sorgen für ein behütetes Setting. Der Quasi-Titelsong "Gloria" untersucht via Kindheitserinnerung Vorstellungen von, aber auch Erwartungen an Geschlechterrollen, die bereits ganz früh greifen. Das sanfte Anbranden und Aufbrausen in diesem Song, geerdet von versonnenem Pianoklimpern, deutet auf einen sedierten Kampf in den Windungen des Alltagslebens der saturierten Mittelschicht hin, einen reinigenden Ausbruch traut Jamison sich und seiner Musik jedoch nicht zu.
Und so ist inmitten des ganzen Wohlklangs immer das leicht enervierende Gefühl einer nervösen Zügelung zu spüren. Der gemächliche Beat in "Boys" wird von Streicherzupfern akzentuiert, die Gitarre säuselt, und Jamison schwingt sich zu einem Refrain auf, der auch Sufjan Stevens ein wenig Anerkennung entlocken dürfte. An anderen Stellen denkt man immer wieder an Death Cab For Cutie oder deren elektronischen Ableger The Postal Service. Dass auch Adrienne Lenker von Big Thief zu den Fans des jungen Songwriters gehört, wundert ob der ähnlichen musikalischen Ausprägung wenig. Songs wie das verschlafene "Ether garden", welches sich sanft säuselnd in eine Schutzdecke einwickelt, sind Zeichen für eine Behütetheit, die auch manchmal zur Falle wird. So verteidigt die Ich-Figur in "True north" fast schon trotzig seine sexuellen Impulse, "Was I looking up your skirt? / Of course I was" wirkt in dem sanften Aufbrausen aber eher unfreiwillig komisch.
Man labt sich also einerseits an den weichen Melodien, an den vollendeten Harmonien, hat dabei aber immer das Gefühl, nur eine abgemilderte Wirklichkeit aus zweiter Hand vorgesetzt zu bekommen, die die wahren existentiellen Themen ausklammert. Dies könnte eine Schwäche dieses Albums sein, würde Jamison nicht immer wieder klar machen, dass er sich dieses Umstandes bewusst ist und reflektierend einen Schritt zur Seite macht: "Disneyland never made a man."
Highlights & Tracklist
Highlights
- True north
- Florence Nightingale
- In march
Tracklist
- Gloria
- Boys
- Ether garden
- True north
- Florence Nightingale
- The magic lantern
- Stars
- Beauty sleep
- American babes
- In march
- Reading days
- Darkly
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Armin
2019-02-14 21:25:21- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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