
Machinefabriek - With voices
Western Vinyl / CargoVÖ: 18.01.2019
Ohne Worte
Was passiert, wenn wir die menschliche Stimme nicht mehr als bloßen Mittler lyrischen Gehalts verwenden, sondern sie auf ebenjene Weise objektifizieren, wie wir es mit einem gewöhnlichen Instrument tun? Dieser Frage stellte sich die israelische Komponistin Chaya Czernowin 2015 in einem Aufsatz und formulierte damit eine musikalische Herausforderung, der sich die Avantgarde in ähnlicher Form schon seit einigen Jahrzehnten widmet. Während die Verzerrung der sprachlichen Ebene in Boris Blachers sogenannter "abstrakter Oper" aber vor allem dadaistische Züge annimmt und bisweilen eine gewisse Komik versprüht, ist die Wortlosigkeit bei Czernowins Oper "Pnima" als Ausdruck der Fassungslosigkeit in Erinnnerungen an den Holocaust gemeint. Die Ambivalenz musikalischer Deutungsmöglichkeiten wird in solchen Momenten am deutlichsten, weil uns keine semantische Sprache auf der klarsten Ebene zu vermitteln vermag, was und ob die Kunst uns etwas mitteilen will. Was also ist das Ziel von Rutger Zuydervelt alias Machinefabriek, wenn er sich mit seinem neuesten Werk "With voices" zu großen Teilen auf nonverbale Stimmlichkeit beruft?
Die Songtitel des Albums scheinen auf der Suche nach Antworten eine geradezu biedere Neutralität vermitteln zu wollen und erwecken mit ihrer schlichten römischen Bezifferung den Eindruck einer Musik, die ihr Konzept streng schematisch verfolgt. Die Mannigfaltigkeit der Stücke auf "With voices" belegen hingegen das Gegenteil, bewegen sie sich doch durch ganz unterschiedliche Ebenen experimenteller Ambient-Klänge. Dabei bleibt das Grundkonzept immer dasselbe: Im Zentrum jedes Stücks steht ein Gast-Sänger oder eine Gast-Sängerin, die vom Komponisten angewiesen wurden, ihre Stimme möglichst improsativ einzusetzen. Diese gehen dabei ganz unterschiedlich vor und verwenden ihr Organ sowohl sprechend, singend, als auch geräuschhaft. Die unterschiedlichen Ergebnisse dieser Aufnahmen stellen die zentral-formenden Elemente eines jeden Stücks dar, um die sich die Musik zu formen hat und für die Zuydervelt zwangsläufig zu unterschiedlichen Resultaten kommen muss.
In der Praxis verläuft sich dieses Theoriegebilde in abstrakten synthetischen Welten, in denen die zugrunde liegende Stimme in manchen Fällen stark im Vordergrund steht und in anderen Kompositionen kaum noch als solche zu erkennen ist. Im eröffnenden "I" ist der Gesang von Terence Hannum beispielsweise nur noch schemenhaft im verhallenden Synthesizer-Nebel zu erahnen und scheint von der klimaktisch ansteigenden Elektronik-Gewalt geradezu übermannt zu werden. "II" verzerrt das Timbre von Chantal Acda durch abgehackte Glitch-Electronic, "VII" überdeckt sein futuristisches Gewand mit dem rauschenden Grundklang einer kratzigen Schallplatte und spielt so mit einem Sound, der zeitlich allgegenwärtig wirkt. In "III" mit Peter Broderick stellt die menschliche Stimme wiederum eindeutig den zentralen Dreh- und Angelpunkt in einer perkussiv-minimalistischen Klangumgebung dar. Dieses Stück betritt gleichzeitig ein auf "With voices" eher seltenes Terrain, indem es den Sprechgesang nach einigen rhythmisierten Stimmlauten tatsächlich mit Worten in Verbindung bringt. Diese erscheinen von ihrem musikalischen Kontext allerdings gänzlich losgelöst und erwecken eher den Eindruck, als wären sie ihrer klanglichen Ästhetik wegen gewählt und nicht durch ihre semantische Aussagekraft.
Gerade letzteres Stück zeigt durch die gefühlte Auflösung der sinnhaften Sprache trotz ihres objektiven Vorhandenseins, zu was "With voices" fähig ist. Das Album scheint die Banalität des gesprochenen Worts an dieser Stelle herauszustellen und zeigt mit seinen gleichzeitig nonverbal präsentierten Lauten, wie viel Menschlichkeit allein in unserem Wesen steckt. "With voices" fungiert daher als Kontrapunkt eines Zeitgeists der totalen Reizüberflutung, als Gegenpol einer verschwimmenden Realität, in der wir vor lauter meinungsmachenden Sprachrohren aus der vernetzten Welt kaum noch zwischen substanziellen und post-faktischen Aussagen unterscheiden können. Inmitten seiner zauberhaften Ambient-Weiten zeigt Machinefabriek immer wieder das Schöne und das Schreckliche, ohne klar zu definieren, zu welcher Seite was gehört. Ob Rutger Zuydervelt mit diesem Album tatsächlich eine Art Statement gegen die zeitgenössische Popkultur setzen will, die ihre Aussagekraft immer mehr auf die lyrische Ebene verlagert? Schwer zu sagen. Zumindest ist "With voices" aber endlich wieder Musik, die sich einfach nur fühlen lässt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- I (with Terence Hannum)
- II (with Chantal Acda)
- VII (with Wei-Yun Chen)
Tracklist
- I (with Terence Hannum)
- II (with Chantal Acda)
- III (with Peter Broderick)
- IV (with Marianne Oldenburg)
- V (with Zero Years Kid)
- VI (with Richard Youngs)
- VII (with Wei-Yun Chen)
- VIII (with Marissa Nadler)
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Armin
2019-02-07 20:24:42- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Machinefabriek - With voices (1 Beiträge / Letzter am 07.02.2019 - 20:24 Uhr)