Dendemann - Da nich für!

Vertigo / Universal
VÖ: 25.01.2019
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Alle sind sich einig

Der kleine Daniel Ebel war sicher schon kein normales Kind, jedenfalls war der heute 44-jährige Dendemann zumindest bereits als 24-Jähriger kein normaler Rapper. Vielleicht eben deswegen ist er einer dieser Menschen aus dem Rampenlicht, den man zu kennen glaubt wie einen Freund, obwohl man noch nie ein Wort mit ihm gewechselt hat. Weil man schon 1999 zur ersten Eins-Zwo-Platte "Gefährliches Halbwissen" gemeinsam mit ihm "ab und zu und ab und zu oft" auch nicht genau wusste, warum das alles so kompliziert ist, weil er lustiger war als der Rest, weil er sich schon damals gern in den Spagat hockte und die Grenzen dessen, was HipHop in Deutschland früher war, ausreizte. Während andere Beef suchten oder sich in Selbstreferenzen verstrickten, schuf Dende 2010 mit "Vom Vintage verweht" ein wahnsinniges Crossover-Album, das gar eigentlich kein Crossover war, weil der Rapper sich fortan mit Vokuhila, Jeansweste und Trucker-Cap präsentierte. Dendemann war nie peinlich, seit zwei Jahrzehnten liefert er zuverlässig wie ein Pizzajunge, wenn nicht auf Platte, dann war er ja im Fernsehen. "So läuft das Game, wer hätt's gedacht? / HipHop schmeckt wie Pizza besser selbst gemacht", hieß es auf "Die Pfütze des Eisbergs" aus 2006 und Dendemann backt wieder und es hat geklingelt: "Da nich für!" steht vor der Tür.

Tatsächlich stand vor Dendemanns dritter Soloplatte vor allem die Nervosität, dass der Rapper wie die Beginner auf "Advanced chemistry" bloß schnöde Reminiszenzen auftischt – was der Rezensent 2016 in blinder Euphorie allzu großzügig übersah. Aber auch Dendemann selbst war nervös, so liest man es in aktuellen Interviews und auch im Intro "Ich Dende also bin ich" hadert er mit der Erwartung an sich selbst. Also unternahm der Wahlkreuzberger alles dagegen, dass es nicht so ausgeht, holte sich The Krauts (Peter Fox, Marteria) als Produzenten ins Boot, auch Dexter (Fatoni), Torky Tork (Haftbefehl) und Reaf (SSIO) durften mitmischen, genauso wie sein alter Kumpel I.L.L. Will, der schon zu Eins-Zwo-Zeiten immer mal wieder beteiligt war. Herausgekommen ist eine Platte, die modern ist, ohne ihre Wurzeln zu leugnen. Das klingt abgedroschen, aber in Tracks wie "Müde" hört man eben nicht nur Jazzanleihen heraus, wie sie einst schon DJ Rabauke cuttete, sondern auch einen zeitgemäßen, satt pumpenden Beat. Hildegard Knef singt den Namen des Albumkünstlers, während das Klavier sanft klimpert und ein Saxophon die Stimmung durchromantisiert. Definitiv ist ebendieses "Müde" der beste Track hier, weil Dende hier sein ganzes, nach wie vor übermächtiges Style-Talent auspackt und weil der Song gleichzeitig Attitüde offenbart, zwischen Ärger und Frustration changiert, alles gut durchkaut und den widerlichen Speisebrei ausspittet.

Allgemein ist "Da nich für!" ein meinungsstarkes Album, das ließ schon die erste Single "Keine Parolen" mit ihrer Slime-Referenz und dem vibrierenden Dub-Part nach der ersten Songhälfte vermuten. Dort setzt Dendemann Umsturz und Selbstzufriedenheit mehrdeutig in Kontext: "Alles, was ich wirklich will, ist nur ganz kurz mal die Regierung stürzen." Der Rapper macht keinen Hehl daraus, dass sein Engagement bei "Neo Magazin Royale" seinen Blickwinkel auf gesellschaftliche Themen erweiterte und mithin die innere Obligation entstand, sich zu äußern. "Wenn die Demokratie ihren Segen verflucht / Ist dagegen wohl nicht mehr dagegen genug", rappt er in "Zeitumstellung", das im Gespann mit Beatsteaks-Arnim wortspielt: "Zeit um Stellung zu beziehen." In "Menschine" übt Dendemann Neoliberalismuskritik, nicht neu, aber alles andere als unaktuell. Auf "Vom Vintage verweht" hieß es noch: "Ich bin einer von euch Menschen, ich bin doch kein Robota." Hier hingegen fehlt das "Ich", stattdessen spricht er das "Du" an. Auch hier ist er sichtbar, der Perspektivenwechsel. Dazu wird immer wieder Bilderbuchs Maurice Ernst eingespielt, er singt sein freaky "Maschin", oder stößt ein sexy "Yeah" aus. Anderswo schildert Dende mehr als trauriger Erzähler, denn als Mahner: In "Zauberland", das die berühmten Zeilen Rio Reisers samplet, skizziert er die Entzauberung der Hoffnung im Leben eines Geflüchteten, während der Beat bedrohlich wummert.

"Alle Jubilare wieder" hätte auch auf "1982" von Marteria & Casper einen Platz gefunden, kein Wunder, dass Letzterer hier einen Part übernimmt. Gemeinsam kritisieren sie die hedonistischen Auswüchse der Hauptstadt, "Babylon Berlin" als Song, aber mit drückenden Pumps statt Swing. Wahrscheinlich ist das der größte Ohrwurm auf "Da nich für!", auch weil: Mehr Rasierklingen zum Frühstück kriegst Du nicht in einen Track. Auch krass eingängig: "Drauf & dran", dessen Jungle Drums und Handclaps den Rapper dazu zwingen, immer weiter zu flowen. Wenn man nicht wüsste, dass Mieze Katz von Mia. hinter der Hook steckt, könnte man dieses druckvolle Gekeife auch Haiyti zuordnen. Deren Trap-Kollege Trettmann gibt sich in der zweiten Single "Littbarski" die Ehre, die nicht etwa dem o-beinigen Offensivspieler des 1. FC Köln der Achtziger und frühen Neunziger, sondern einem weiblichen, latent partysüchigen Gegenüber huldigt. "Rapper sind wir alle / Oder hängst du in der Cloud / Ja, die Trap ist eine Falle", ironisiert Dendemann seinen Ausflug in die Sparte, gibt sich dabei aber keine Blöße, sondern spielt angenehm unaufgeregt sein ganz normales, großes Tennis, nur halt auf ungewohntem Untergrund.

Ein Heimspiel hingegen bestreitet er in der dritten Auskopplung "Wo ich wech bin": Der Rapper rollt auf beunruhigend düsterer Bereifung in sein beschauliches Heimatkaff Wickede, lässt Autotune und Vocoder seine Stimme teilweise halb zerpflücken, um festzustellen: "Du kriegst mich aus dem Dorf, doch das Dorf nich' aus mir." Auf dem 2001er "Zwei" von Eins Zwo gab es schon mal so eine örtliche Rückschau. Vergleicht man "Unschuld vom Lande" mit "Wo ich wech bin", lässt sich anschaulich feststellen, wie gut es der – sorry – Wickede-MC schon immer verstand, den musikalischen Zeitgeist aufzusaugen. Als einziger Track fällt genau hinsichtlich dessen "BGSTRNG" aus der Reihe, aber das liegt nicht an Dendemann. Der erklärt im Promotext: "Die Beginner sind dabei, weil sie dabei sein mussten." Aha. Der Song fällt zwar nicht blindlings in die Retrofalle, dafür ist der Beat zu ausdifferenziert mit seinem dicken Bass, den Kuhglocken und den aufblinkenden 8-Bit-Synthies, aber Denyos Part ist schlicht der schwächste auf diesem ansonsten bärenstarken Album. Zu guter Letzt bringt Dende "Nochn Gedicht" unter und lässt das Ganze von Heinz Erhardt einleiten. Keine "3 1/2 Minuten" sondern etwas über vier nimmt er sich Zeit, um seine Liebe zu gestehen, ganz unsarkastisch und ohne D'Angelo-Diss, aber dafür mit einer geballten Wortwitzladung und smoothen Bläsern.

Dendemann hat für sein Comeback fast ausnahmslos richtige Entscheidungen getroffen und lief dabei niemals Gefahr, plumpe Nostalgie zum Stilmittel zu erheben. Zwar hätte ein zweites Album mit seiner Band Freie Radikale durchaus charmant sein können, aber der Rapper wollte eben nicht einfach das Essen vom Vortag wieder aufwärmen. Es ist der Platte natürlich anzuhören, dass er sich am aktuellen Mainstream-Rap orientiert, aber das ist ja nicht Xavier Naidoo, der ein Dubstep-Album macht, sondern es ist halt Dende, der tut, was er am besten kann. So reiht sich "Da nich für!" reibungslos in sein Œuvre ein, weil es sich an ein paar Regeln hält, die er schon immer kannte: Sei deep, sei witzig, mach die Musik, die Dir gefällt. Er ist heute noch immer kein normaler Rapper, aber immer noch dasselbe ursympathische raptechnische Genius. Auf Dendemann können sich alle einigen, sogar die, die Künstler, auf die sich alle einigen können, aus Trotz kacke finden – nach diesem Album erst recht. Ihm dafür Danke zu sagen bringt nichts, denn Dende hat ja schon Bitte gesagt: "Da nich für!"

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Alle Jubilare wieder (feat. Casper)
  • Keine Parolen
  • Müde
  • Drauf & dran

Tracklist

  1. Ich Dende also bin ich
  2. Alle Jubilare wieder (feat. Casper)
  3. Keine Parolen
  4. Müde
  5. Menschine
  6. Drauf & dran
  7. Wo ich wech bin
  8. Zeitumstellung (feat. Teutilla)
  9. Zauberland
  10. BGSTRNG (feat. Beginner)
  11. Littbarski (feat. Trettmann)
  12. Nochn Gedicht
Gesamtspielzeit: 42:56 min

Im Forum kommentieren

Mister X

2019-02-07 04:19:44

Ist natuerlich eine viel zu hohe Messlatte gewesen. Das Ding ist ok. Mehr nicht. Waere es drei Jahre nach vom Vintage verweht erschienen, haette es deutlich weniger Aufmerksamkeit bekommen. Sind aber ein Paar nette Wortspiele und Metaphern drauf.

Loketrourak

2019-02-04 08:46:43

Mag ich. Ich habe einen Soft Spot für Littbarski und BGSTRNG ist wirklich nicht so toll.

Kojiro

2019-02-03 19:31:01

Okayes ALlbum.

Obgleich ich Dende seit der Sport EP liebe, wollte der Funke bei den Solo-Sachen nie 100% überspringen.

Album schafft eig. ganz gut den Spagat zwischen sample-basierten Nostalgiebeats und aktuellen Produktionen. Für meinen Geschmack ist´s alles in allem aber etwas zu sehr an aktuelle Trends angelehnt, wenngleich teilweise auch mit einem Augenzwinkern (Littbarski).

"Drauf und dran" finde ich tatsächlich sehr gelungen. Sample-Flip ziemlich cool. "Wo ich wech bin" mein Favorit. "Keine Parolen" hat selbstverständlich nen starken Song, ist mir vielleicht aber etwas zu gewollt politisch. Den mit Casper mag ich auch. "Zeitumstellung" könnte klasse sein, Beat sehr Jay Dee-like (Vocals ja auch im Song), aber der Chorus ist fürchterlich. Generell fällt auf, dass die Hook-/Choruswahl oft etwas unglücklich ist.

Die Beginner und insbesondere Denyo sind einfach nicht zu ertragen. Vor allem auf einem Song mit Dende, neben die beiden Clowns nochmal 10 Stufen mieser klingen.

Alles in allem ok. Schön, dass nochmal was von Dende kommt, aber umhauen tut´s mich nicht.

Pascal

2019-02-01 17:55:43- Newsbeitrag

DENDEMANN
** „da nich für!“ auf #1 der deutschen Albumcharts **
** Video zu „Menschine“ online **
** nahezu komplett ausverkaufte Tour im Februar **



Nach einer knapp 9 jährigen AlbumVÖ-Abstinenz veröffentlichte Dendemann am 25.01. sein langerwartetes Album „da nich für!“ und schafft mit dem Album direkt den Sprung von 0 auf #1 der deutschen Albumcharts! Nicht ohne Grund prophezeien einige Kritiker (und seine Fans ohnehin) bereits im Januar, dass es sich bei „da nich für!“ um das „Album des Jahres 2019“ handeln könnte....

Die Reaktionen auf das Album zeigen, welchen Stellenwert Dendemann hat. „Da nich für!“ ist als Sprung sogar noch größer als sein Anlauf: Rap zur Zeit von zeitloser Größe! (Musikexpress). Dendemann ist einer der besten Lyriker im deutschen HipHop (Die Zeit), und geht musikalisch und sprachlich mit der Zeit (FAZ). Er hat deutschen HipHop entkrampft, Humor mit Handwerk versöhnt und vor allem uns Kleinstadtjugendliche gerettet. (Musikexpress). Großes Kino. Eine der besten Platten des Jahres (Juice). Der 44Jährige ist in Topform (n-tv.de) und er schafft mit diesem Album einen großen Wurf (musikwoche). Er ist schlichtweg einer der wichtigsten Protagonisten im deutschen Rapgeschäft. Für deutschen Rap legt dieses Album die Messlatte fest. (Stuttgarter Nachrichten). Das Album verfügt über das Zeug, auch in fünf oder zehn Jahren noch relevant zu sein. (Visions) Dendemann schafft das, woran viele seiner alten Klassenkameraden gescheitert sind und liefert ein durchdachtes, zeitgemäßes und selbstbewusstes "Comeback"-Album. (Tonspion) Auf Dendemann können sich alle einigen - nach diesem Album erst recht. (Plattentests.de).



Video zu „Menschine“ veröffentlicht
„Wenn die Leute wie Maschinen nur noch für die Arbeit leben“
In dem an Kraftwerk erinnernden Industrial-Rap „Menschine“ geht es um jene perfektionierte Form von Selbstausbeutung in neoliberalen Zeiten, die unter dem Euphemismus Individualität bereitwillig bis ins selbstoptimierte Privatleben ausgedehnt wird.
Wenn die Leute wie Maschinen keine Rente mehr haben - Bleiben am Ende vom Abend nur die vier Wände und Fragen
Draussen sind tausend Roboter in trendigen Farben - Alle lebendig begraben egal Handy geladen.
Tanz wie ne Maschine lauf wie ne Maschine - Kauf und hör nicht auf wie ne Maschine
Leb wie ne Maschine lieb wie ne Maschine - Flieg hoch und fall tief wie ne Maschine


VIDEO ZU MENSCHINE:



Nahezu ausverkaufte Tour im Februar
Am 04.02. startet die „da nich für!“-Tour, die in den meisten Städten ausverkauft oder in größere Venues (z.T. auch wieder ausverkauft) ist:

DENDEMANN LIVE
"da nich für!"-Tour 2019
04.02.19 Hannover - Capitol (ausverkauft)
05.02.19 Bremen - Pier2 (in größeres Venue verlegt!)
06.02.19 Osnabrück – HydePark (in größeres Venue verlegt!)
07.02.19 Dortmund - Warsteiner Music Hall (in größeres Venue verlegt! ausverkauft)
09.02.19 Münster - Skaters Palace (ausverkauft)
10.02.19 Frankfurt - Batschkapp (ausverkauft)
11.02.19 Heidelberg - Halle02 (ausverkauft)
12.02.19 Stuttgart - Im Wizemann (ausverkauft)
13.02.19 München - Tonhalle (in größeres Venue verlegt! ausverkauft)
15.02.19 CH-Zürich - Dynamo (ausverkauft)
16.02.19 Karlsruhe - Substage (ausverkauft)
17.02.19 Köln - Carlswerk Victoria (ausverkauft)
18.02.19 Wiesbaden - Schlachthof
20.02.19 A-Salzburg – Szene (in größeres Venue verlegt!)
21.02.19 A-Wien - Gasometer (in größeres Venue verlegt!)
22.02.19 A-Linz - Posthof
23.02.19 Dresden - Reithalle (ausverkauft)
25.02.19 Leipzig - Werk2 (ausverkauft)
26.02.19 Hamburg - Mehr! Theater (Zusatzkonzert! ausverkauft)
27.02.19 Hamburg - Mehr! Theater (ausverkauft)
28.02.19 Berlin - Columbiahalle (ausverkauft)

arnold apfelstrudel

2019-01-31 10:33:09

Bei Menschine und Drauf und Dran sind die Beats widerum für mich überhaupt nicht gelungen und führen direkt zur Skip-Taste. Keine Parolen bleibt bester Track und Nochn Gedicht ist der versöhnlichste Abschluss, den ich mir vorstellen konnte. 8 von 12 mehr oder weniger stabile Tracks ist aber ein guter Schnitt. Gelungene Rückkehr.

6-7/10

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