
Jungstötter - Love is
PIAS / Rough TradeVÖ: 01.02.2019
Leiden lernen
Aus alt mach neu? In der Popmusik zu Zeiten omnipräsenter Revivals kein Problem und beinahe an der Tagesordnung. Aus alt mach jung? Schon schwieriger oder sogar unmöglich – außer, wenn sich Fabian Altstötter, Frontmann der unlängst aufgelösten Sizarr, eine gehörige Portion Selbstironie draufschafft und sein frisch aus der Taufe gehobenes Soloprojekt ausgerechnet Jungstötter nennt. Seine latent gequält dreinblickende Adoleszenz eint den gebürtigen Landauer mit ähnlich unbetagten Kollegen wie Max Gruber alias Drangsal oder Die-Nerven-Sänger Max Rieger – passenderweise produzierte Letzterer "Love is". Allerdings nicht im schroffen Post-Punk-Sinne seiner Hauptband, sondern eher im Geiste seines nebulösen Drone-Alias All Diese Gewalt, während Altstötter seinem inneren Scott Walker vom ersten Ton an gravitätisch barmend Zucker gibt.
Zumindest stimmlich – von Donald-Duck-Gequäke, zum Instrument umfunktionierten Schließmuskeln und Lachsäcken oder Schweinehälften-Percussions, derer sich der berüchtigte Universal-Zerbomber auf "The drift" oder "Bish Bosch" bediente, findet sich auf "Love is" keine Spur. Nein, unter mehr oder weniger eigenem Namen sind Avantgarde und Schinkenspeck mitnichten Altstötters Lebenszweck. Stattdessen stilisiert der Wahlberliner seinen Erstling zu einer tief empfundenen Meditation über Emotionales hoch, die mitunter Spuren von Rockmusik enthalten kann. Erstmals im doppelbödigen Schleicher "Sally ran", wo die Licks zunächst freigeistig mäandern, ehe mächtige Stromgitarren den Lauten machen und sich der Song zur Hymne öffnet, doch schon bald wieder verklingt. Kaum gewonnen, so zerronnen – wie so oft in der Liebe.
Unwägbarkeiten und kaum vorhersehbare Wendungen, mit denen man auf diesem Album immer rechnen muss. Selbst in der behutsamen Kontrabass-Moritat "Black hair" oder der körperlosen Klavierballade "The rain" könnte jederzeit ein kleines Soundgewitter niedergehen oder etwas Unerwartetes dazwischenfahren, nachdem zuvor schon beim Titelstück verspielter Refrain inklusive unschuldigem weiblichem Background-Gesang ungebremst auf ein lärmendes Distorto-Finale geprallt sind. Dissonante Bruchstellen, die im scharfen Kontrast zu Altstötters waidwunder Stimme stehen und von denen "Love is" zweifelsohne ein paar mehr vertragen hätte – insbesondere die an sich prächtig durchexerzierte Single "Wound wrapped in song", die trotz eindringlicher Nick-Cave-Phrasierung die letzte Stichhaltigkeit schuldig bleibt. Schön, aber nicht zwingend.
Mehr Linie besitzen die Stücke, die sich statt auf Altstötters höchst expressives Organ vielmehr auf schlüssigen Spannungsaufbau im Arrangement verlassen. Dem hypnotischen "Systems" genügen etwa ein beständig kokelndes Keyboard und flirrendes Fingerpicking auf der Akustischen, bevor der Song schließlich unter eine Noise-Rock-Dampfwalze gerät, und das ebenfalls vorab ausgekoppelte "I wonder why" schwankt köstlich zwischen selbstvergessenem Twang-Chanson und entrückt swingendem Drama-Pop – und auch der 27-Jährige versteht es zusehends besser, zu leiden, ohne zu klagen. Grund zur Klage gibt es auch nach "Love is" im Großen und Ganzen nicht – oder vielmehr: Gut sieben Post-rockige Minuten "To be someone else" sollten zum Schluss auch den Letzten für die eine oder andere unnötig zerdehnte Zähigkeit auf diesem Album entschädigen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Sally ran
- Love is
- I wonder why
Tracklist
- Silence
- Sally ran
- Love is
- Black hair
- In too deep
- Wound wrapped in song
- Systems
- I wonder why
- The rain
- To be someone else
Im Forum kommentieren
Voyage 34
2019-11-27 09:51:03
Ja, die standard- 7/10 dürfte eigentlich drin sein. Gerne auch ne 7,5 für mich.
Live fand ich sie glaube auch so gut weil ich mit keinerlei Erwartungen zum Konzert bin, ein Freund hat mich mitgeschleppt. Technisch sind sie echt gut und auch atmosphärisch hat zumindest an dem Abend alles gestimmt. In einigen Bereichen gibts aber auch Luft nach oben, wäre sehr sehr gespannt wie ein zweites Album klingen würde, vielleicht mit nem breiteren Sound, ähnlich dem den sie live spielen.
Ones to watch
Deaf
2019-11-26 20:09:16
Mir gefällt das meiste live besser als auf Platte, aber 6/10 scheint mir schon deutlich zu wenig zu sein.
Voyage 34
2019-11-26 19:58:29
kann ich nur zustimmen. Hab sie in Bochum gesehen, war stark. Gefällt mir live jedoch besser als auf Platte
Deaf
2019-11-26 19:11:11
Jetzt schon zwei Mal live gesehen (einmal solo, einmal mit Band), ohne das Album gekannt zu haben. Das hole ich nun aber nach, vor allem der längere Schlusstrack "To Be Someone Else" hat es mir sehr angetan. Ich höre da viel Nick Cave Ende 90er/Anfang 00er raus, was ja mal keine schlechte Referenz ist.
Damon Albern
2019-03-28 14:36:02
Ganz okay. Auf die Texte sollte man jedoch nicht achten, die sind gar grausig.
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