
Georg Zimmermann - Allemann oben allemann unten
Weird Sounds / MembranVÖ: 18.01.2019
Düsseldorfer Delikatessen
Berühmte Irrtümer der Kriminalfilmgeschichte, Teil 947: Serienmörder Fritz Haarmann war als "Bestie von Hannover" bekannt – und nicht etwa als "Der Totmacher", auch wenn der gleichnamige 1995er Spielfilm mit Götz George als Haarmann in der Titelrolle Derartiges suggerierte. Und trotz seines finsteren Wirkens ist der schließlich Verurteilte und Hingerichtete bis heute für mannigfaltige Referenzen in der Popkultur verantwortlich. Aktuelles Beispiel: Groteskliedermacher Georg Zimmermann, der seit Jahren eine Version des parodistischen Haarmann-Liedes "Warte, warte nur ein Weilchen" im Live-Repertoire führt. Nun eröffnet der Song als als kannibalistisches "Soupe allemande" Zimmermanns drittes Album "Allemann oben allemann unten" – und integriert gleichermaßen Sozis, Nazis, Kommunisten und Konservative in die Mahlzeit: "Haarmann mischt jetzt alle Sorten / Ein feines Süppchen à la Parlament." Unappetitliche Düsseldorfer Delikatessen zu munterem Shuffle mit vergnügten Quietsch-Leads – wohl bekomm's.
Doch auch ein schlappes Jahrhundert später gibt es genug, über das man sich bei der menschlichen Nahrungsaufnahme wundern kann. Etwa in "K.O.N.S.U.M. (Gott ist nicht tot)", einer Discounter-Expedition mit Dichterfürst Heinrich Heine, dem angesichts des feilgebotenen Wohlstandsmülls nur mehr ein "Wenn ich das fresse, werd ich doppelt bezahlen / Und der Pöbel kauft den Tod aus Regalen" entfährt. Zimmermann funktioniert derweil das Grundthema von Jens Friebes "Theke mit den Toten" zu einem flockigen Indie-Popsong um und kommt letztendlich wie so oft zum Ergebnis, dass man das bisschen minderwertige Essen eigentlich auch trinken kann. Natürlich erst, nachdem das stressige Tagewerk vollendet ist – vorzugsweise zum launigen Stakkato-Klopfer "Super-Jobs und Mini-Snobs", der sich von einer Schmatz-Orgel eins überbraten lässt und im Refrain neben einer weit aufgerissenen Gitarre auch Verweise auf Dürrenmatt und Kafka hinter sich herschleift. Tendenz prekär – aber schön war's doch.
Was für "Allemann oben allemann unten" auf ganzer Linie gilt, wenn Zimmermann im ähnlich groß auftrumpfenden "Falsches Schaf der tragischen Herde" selbstironisch die vermeintlichen Vorzüge seines Hinterteils preist und ein Background-Chor euphorisch Zustimmung johlt. Die Altvorderen in den "Kulissen aus dem letzten Jahrhundert" haben sich da schon längst verdrückt, während "Kassandra Kassandro" noch mahnend den Zeigefinger hebt – in den Armen liegen sich am Ende trotzdem alle. Zu versöhnlich gibt sich der Abschluss "Gemeinsam alleine" und möchte im tiefsten Herzen am liebsten eine latent versoffene Fassung von The Beatles' "A day in the life" mit "Verstärker" von Blumfeld im Hinterkopf sein. Das köstlich pointierte Finale einer trostreichen, swingenden Songsammlung – keine Spur von der sogenannten dynamischen Inkompetenz, mit der Zimmermann zuweilen kokettiert. Und wenn's doch nicht schmeckt? "Tun Sie Senf drauf, einfach Senf drauf." Nur bitte nicht auf dieses erneut vorzügliche Album.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Soupe allemande
- Super-Jobs und Mini-Snobs
- Gemeinsam alleine
Tracklist
- Soupe allemande
- K.O.N.S.U.M. (Gott ist nicht tot)
- Super-Jobs und Mini-Snobs
- Rivalen der Rennbahn
- Falsches Schaf der tragischen Herde
- Kulissen aus dem letzten Jahrhundert
- Kassandra Kassandro
- Traum - Kummer / Kommerz
- Gemeinsam alleine
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Armin
2019-01-17 21:11:34- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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