Turbostaat - Nachtbrot

18Null9 / Cargo
VÖ: 11.01.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Nicht zum Sterben hier

Premiere, die zweite: "Abalonia" markierte gleich mehrere Nova für Turbostaat, war es nicht nur das erste Konzeptalbum, sondern auch ihr musikalisch ambitioniertestes Werk, das selbst den Rezensenten, der die vorige Diskographie der Flensburger nur als "gut" abgestempelt hatte, zum Fan machte. Umso erfreulicher, dass ausgerechnet dessen eröffnendes Gitarren-Biest "Ruperts Grün" auch "Nachtbrot" aufrollt, die Parole "Alles ist besser als der Tod!" von den 800 Besuchern des Leipziger Conne Island mitgesungen sogar noch mehr Gänsehaut bereitet als sowieso schon. Ja, Turbostaat haben zum 20. ihr erstes Live-Album aufgenommen. Zum ersten Mal wurde auf Kunststoff gebannt, wie sie nicht vor, sondern mit ihren Fans diese abstrakten Geschichten erzählen von Semonas Leidensweg nach Abalonia, vom Selbstmord in "Harm Rochel", von Fraukes ungewollter Schwangerschaft. Klingt traurig? Ist es überhaupt nicht, weil keine andere Deutschpunk-Band so viel Tod, Schmerz und Kriechkotze in so kompakte, direkte und immer memorable Tanzmusik verpacken kann. "Diese jungen Männer hier sind anders, wie man weiß." Ach ne, das war ja wer anders.

So jung sind diese Nordmänner auch überhaupt nicht mehr, was aber natürlich nichts zur Sache tut, weil man es ihnen sowieso nicht anmerkt. Nicht nur, weil sie unzerstörbare Hits wie "Haubentaucherwelpen" oder "Pennen bei Glufke" noch immer mit der gleichen rotzigen Energie darbieten können, sondern, weil man der auf "Nachtbrot" performenden Band zu keinem Zeitpunkt ihren Status als größter Name der Szene anhört. "Fan-Nähe" ist hier viel mehr als nur eine Floskel. Alle Besucher der drei Konzerte, aus deren Aufnahmen "Nachtbrot" besteht, wurden im gigantischen Booklet namentlich verewigt und ihre beeindruckend textsicheren Chöre stehen auf einer Stufe mit Jan Windmeiers Singsprech. Da würde auch niemand auf die Idee kommen, dass über 400 Kilometer Luftlinie zwischen Leipzig und Husum liegen, bei so viel Inbrunst, mit der die Menge die Hassliebe-Hymne "Insel" grölt. Turbostaat haben sich zweifelsfrei weiterentwickelt, doch auf der Bühne steht noch immer die Band, die 1999 in einem Proberaum ihr erstes Demo-Tape aufnahm. Passenderweise gibt es mit "18:09 Uhr. Mist, verlaufen" auch einen Song ebenjenes Tapes. Für die musikalischen Kinder der 2010er-Jahre: Ja, genau hier hat Casper seine Sandra aus "Michael X" her.

Abgesehen von den ersten beiden Alben "Flamigo" und "Schwan", die erst am Ende Beachtung finden, deckt der Fünfer seine Schaffensphasen recht ausgeglichen ab, womit "Nachtbrot" auch als kleines Best-Of oder als Einstiegswerk taugt. Bekehren wird das bisherige Turbostaat-Antipathen zwar nicht – die üppige Spielzeit von 80 Minuten bekräftigt die zuweilen auftretende Gleichförmigkeit als einzig nennenswerte Schwäche der Band –, aber alle anderen dürften kaum Ansatzpunkte zur Enttäuschung finden. "Wolter" sticht wie schon in seiner Studioversion klar heraus: Es ist Turbostaats vielleicht bester, ganz sicher am meisten ausgeklügelter Song und eine bis zum Zerreißen gespannte Suite, deren finaler Chor der Namenlosen durch die Leipziger 800 endlich seine passende Form bekommt. "Wir können alles / Und alles können wir sein", brüllen sie dann alle in "Vormann Leiss" und haben dann auch das allerletzte Wort, wenn sie nach dem Aufbäumen des grandiosen "Schwan"-Titelstücks immer wieder den Namen ihrer Helden skandieren, obwohl diese schon gar nicht mehr zu hören sind. Eine Stadt gibt nicht auf. Und Turbostaat sowieso nicht.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Ruperts Grün
  • Haubentaucherwelpen
  • Wolter
  • Pennen bei Glufke
  • Insel
  • Schwan

Tracklist

  1. Ruperts Grün
  2. Haubentaucherwelpen
  3. Tut es doch weh
  4. Ja, Roducheln
  5. Abalonia
  6. Fraukes Ende
  7. Ufos im Moor
  8. Wolter
  9. Pennen bei Glufke
  10. 18:09 Uhr. Mist, verlaufen
  11. Sohnemann Heinz
  12. Eisenmann
  13. Insel
  14. Alles bleibt konfus
  15. Kriechkotze
  16. Drei Ecken - ein Elvers
  17. Monstermutter
  18. Das Island Manöver
  19. Harm Rochel
  20. Vormann Leiss
  21. Schwan
Gesamtspielzeit: 82:26 min

Im Forum kommentieren

Kai

2021-06-17 17:05:03

Das beste deutschsprachige Livealbum bekommt ein Repress.

Wer also nicht 100€+ auf Discogs hinlegen will:
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eric

2019-01-10 12:14:55

Stimmt. Mit Ausnahme von The Notwists Live-Album und diesem hier. Sehr gut produziert, Atmosphäre kommt prima rüber. Für mich eine dicke 8/10.

Dinge die die Welt nicht braucht:

2019-01-03 23:27:35

Live-Alben!

Armin

2019-01-03 20:04:38- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2018-10-13 14:07:31- Newsbeitrag

Turbostaat feiern im kommenden Jahr zwanzigjähriges Jubiläum und beschenken sich und ihre Fans mit dem ersten Live-Album der Bandgeschichte. "Nachtbrot" erscheint am 11. Januar 2019 als Doppel-Vinyl zusammen mit einem 60-seitigen Fotoband.

Berlin, 12.10.2018
Am 07. Januar 1999 trafen sich fünf junge Punkrock-Musiker in einem Proberaum in Husum, um zusammen ein paar Deutschpunk-Songs zu spielen. Genau 20 Jahre und sechs Studioalben später erscheint nun das erste Live-Album der Band mit dem Titel "Nachtbrot".
"Rückblickend ist es leider nicht mehr zu beantworten, ob überhaupt jemand von uns zur ersten Probe erschienen wäre, wenn wir damals gewusst hätten, dass das automatisch bedeutet, für die nächsten zwei Jahrzehnte Verpflichtungen zu haben" schreibt Roland "Rolli" Santos in den Liner Notes des Albums.


Aufgenommen wurde "Nachtbrot" bei drei aufeinanderfolgenden Konzerten im April 2018 im Conne Island, Leipzig. Ihr langjähriger Wegbegleiter und Freund Moses Schneider produzierte das Album. "Nachtbrot" liefert eine Zusammenfassung der Bandgeschichte, zusammen mit den stets wichtigsten Bandmitgliedern: ihren Fans.

Turbostaat stammen aus einer Szene, in der das Agieren auf Augenhöhe Teil der Definition von Punk ist. Das vorherrschende Gefühl, das die da, die auf der Bühne etwas aufführen, sich nicht als die Stars, als etwas Besseres verstehen, sondern dass das einfach welche von Vielen sind, die ihren Teil zu einer gelebten Gegenkultur beitragen.

So verwundert es weder, dass der Gesang des Publikums fast gleichberechtigt mit der Stimme von Sänger Jan Windmeier auf dem Album zu hören ist, noch dass alle Namen der Konzertbesucher im Conne Island im 60-seitigen Booklet verewigt wurden. Sie sind alle Teil des Ganzen. Wie immer, seit 20 Jahren, verabschiedet sich Jan nach jeder Show mit dem gleichen Satz: „Danke euch, dass wir das hier machen dürfen“.

Turbostaat sind und werden immer sein: Marten, Rolli, Jan, Tobert und Peter.

"Nachtbrot" ist bereits über die bandeigene Homepage als Doppel-Vinyl mit 60-seitigem Fotoband vorbestellbar und erscheint am 11.01.2019 auch in allen anderen gängigen Formaten.

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