Lee Ranaldo - Electric trim, live at Rough Trade East
Mute / Rough TradeVÖ: 14.12.2018
Rather stripped
Nein, Lee Ranaldo hat kein Weihnachtsalbum gemacht. Eine zunächst wenig überraschende Aussage, handelt es sich bei dem ehemaligen Sonic-Youth-Saiten-Malträtierer bekanntermaßen um einen der Urväter des modernen amerikanischen Noise-Rock. Doch ein paar Indizien gab es im Vorfeld von "Electric trim, live at Rough Trade East" durchaus: Es war weniger die Veröffentlichungszeit, mehr die Ankündigung, Ranaldo habe sein letztes Solo-Album auf eine intime, vollständig akustische Performance reduziert, was zumindest auf dem Papier auch als besinnliche Begleitmusik zwischen Gemütlichmachen und Bescherung getaugt hätte. Es dauert auch nicht mal eine Minute, bis im eröffnenden "Moroccan mountains" tatsächlich ein paar Glöckchen erklingen – selbstredend eine falsche Fährte. Die Beschränkung auf eine Stimme und zwei Akustikgitarren, eine davon leicht elektrisch verzerrt, entspricht zwar dem schon auf dem Studioalbum präsenten Folk-und Americana-Einschlag der Songs, allerdings nicht dem Naturell des 62-Jährigen. Auch wenn er hier oberflächlich so klingt wie nie zuvor in seiner Karriere, lebt er auch im neuen instrumentalen Gewand noch immer vom Spannungsfeld zwischen Melodie und Krach.
So macht Ranaldo auch keinerlei Abstriche bei der Spielzeit, im Gegenteil verlängert er das besagte "Moroccan mountains" sogar und knackt damit die Zehn-Minuten-Marke. Eine gute Entscheidung: Durch diese Extraminuten entfaltet das Stück seine volle Klasse, seine überwältigende Dynamik ist gleichermaßen hypnotisierend wie mitreißend, und das enthemmte Geschrammel transferiert die Sonic Youthschen Noise-Anfälle in den Kontext dieses kleinen Londoner Plattenladen-Konzertes. Dass in der Live-Darbietung von "Electric trim" die Reizpunkte des Original-Albums – die elektronischen Experimente, der weibliche Background-Gesang, Steve Shelleys vertrackte Rhythmen – gänzlich fehlen, wirkt sich auch sonst nicht immer negativ aus. Das starke Songwriting von "Let's start again" und "New thing" kommt nach der Entschlackung erst so richtig zur Geltung, dazu füllen die Gitarren die vom Arrangement geöffneten Lücken gekonnt aus. Einzig Sharon Van Etten wird im früheren Highlight "Last looks" doch etwas stärker vermisst, auch wenn der plötzliche Rhythmuswechsel im Song noch immer überrascht.
Auf der formalen Ebene gibt es nicht allzu viel zu sagen, Ranaldo hat die Tracklist ein wenig durcheinander gewirbelt und nur "Purloined" zugunsten des "Between the tides and times"-Hits "Off the wall" runtergeschmissen. Seine Ansagen zwischen den Songs belaufen sich im Höchstfall auf ein paar Zeilen, wie, wenn er zu Beginn von "Circular (Right as rain) den inhaltlichen Gedanken dahinter in Form von sich ewig wiederholenden Alltagsroutinen erläutert. Es geschieht unbewusst, aber so ein bisschen spricht er damit das Hauptproblem von "Electric trim, live at Rough Trade East" an: Wenn die starken Melodien fehlen, driftet die Platte nämlich gerne in einen immer gleichen Klampfen-Schwall ab, der genauso auch aus dem jeweiligen Song davor hätte stammen können. Stücke wie "Uncle skeleton" oder "Thrown over the wall" hatten schon mit Vollausstattung Schwierigkeiten, ihr Spannungslevel hochzuhalten, was sich durch den abwechslungsarmen Minimalismus eher verschlimmbessert. Ranaldo lässt sich zwar auf keinen Fall Abgeklärtheit vorwerfen, dafür ist sein Vortrag zu roh, dringlich und vollkommen unweihnachtlich, man wird schlicht das Gefühl nicht los, dass er sich mit einem richtigen Live-Album wohl den größeren Gefallen getan hätte. Weniger ist eben nicht immer mehr.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Moroccan mountains
- Let's start again
- New thing
Tracklist
- Moroccan mountains
- Let's start again
- Circular (Right as rain)
- Electric trim
- Uncle skeleton
- Thrown over the wall
- Last looks
- Over the wall
- New thing
Im Forum kommentieren
Armin
2018-12-10 21:29:42- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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