Farai - Rebirth
Big Dada / Ninja Tune / Rough TradeVÖ: 30.11.2018
This is London
Der südliche Teil Londons galt jahrzentelang als der vergessene, langweilige Teil der englischen Hauptstadt. Seine Bewohner wohnten auf der "falschen" Seite der Themse. Selbst wenn es um die Musik der unteren Klassen – und deren authentischen Charme – ging, dachte man eher an die Gitarrenbands und Grime-MCs aus den Hochhäusern und Sozialbauten von East London. Seit einigen Jahren mausert sich die Musikszene des Südens jedoch zu bisher ungekannter Beliebtheit. "Rebirth", das erste Album der Sängerin Farai, passt aus rein musikalischer Sicht, mit seinem vom tiefen Bass und Synthesizer bestimmten Klang, nicht ganz in die Reihe großartiger Südlondoner Debüts aus 2018 (Shame, Goat Girl, etc.). Aber das Thema, um das es ihr geht, ist das gleiche. Farai versucht sich auf "Rebirth" an einem kritischen Kommentar zum heutigen England. Und da sind wir auch schon am Punkt. Denn wer das Weltgeschehen so ein bisschen verfolgt, der weiß, dass dieser Versuch nur ziemlich düster und ungemütlich werden kann.
Im Video zu "This is England", dem Quasi-Titelsong des Albums, wird man dann auch direkt von dieser Atmosphäre eingefangen. Farai steht in einem menschenleeren Häuserblock, an einer Mauer hängt ein Schild mit der Aufschrift "Newington Estates". Nur ein paar Fußminuten von hier entfernt begann die ursprünglich aus Zimbabwe stammende 28-Jährige ihre musikalische Karriere. Bei einer Open-Jam-Reihe in einem besetzten Haus trug sie ihre Gedichte vor und begegnete dem Produzenten Tone, der Farais Texte auf "Rebirth" in mal mehr, mal weniger stringente Songs verwandelt. Farai steht da wie ein Grime-MC in ihrer Hood, aber ihr Song entzieht sich jeglichen Genre-Kategorien. Bass und Synthesizer klingen bedrohlich, wie kreisende Hubschrauber am Himmel, ein immer näher kommendes, immer lauter werdendes Unheil. Und wenn sie die Worte "This is England" schreisingt, klingt das nach der passenden Zusammenfassung der dunklen Instrumentierung. Der oft gehörte Spruch ist hier eine Warnung, das ultimative Statement des Albums. Das Lied ist eine Kombination der Rohheit von Post-Punk und Grime, verbunden durch Farais Künstlerpersönlichkeit und Tones karge, aber fesselnde Instrumentierung. Eine radikale Sozialkritik, aus der Mitte des Problemviertels selbst.
Danach ist jedoch auch alles Wichtige gesagt, und so bringen Songs wie "National gangsters", mit Zeilen wie "Bankers are gangsters" nichts wirklich Neues zur Debatte hinzu. Manchmal geht die nonkonforme Produktion auch nach hinten los, wie auf dem monotonen Krautrock-Trip "Love disease". Man muss schon in einer besonders aufgekratzten Stimmung sein, um sich das ganze Album am Stück anzuhören. Eine Ausnahme ist die Doherty-eske Gitarrenballade "Talula" über "the baddest girl in town". Hier klingt Farai eher traurig als wütend, und das Stück wirkt wie ein kleiner warmer Rückzugsort, inmitten der düsteren Welt, die "Rebirth" sonst umgibt. Auch "Punk champagne", ein Song über einen Cocktail aus Prosecco und dem schottischen Billiglikör Buckfast, findet mit dem nachdenklichen Gesang von Tone eine gute Mischung zwischen den Extremen.
Diesen "Punk champagne" kann man wohl als Metapher für das ganze Konzept von "Rebirth" sehen. Den Versuch, aus ärmlichen Verhältnissen große Kunst zu machen. Farai hat sich für den Punk und gegen Champagner entschieden. Nett anzuhören ist hier Album daher nicht. Aber authentisch allemal.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Punk champagne (feat. Tone)
- Talula
- This is England
Tracklist
- Cray cray
- Lizzy
- Punk champagne (feat. Tone)
- Social butterflies
- Talula
- This is England
- National gangsters
- Love disease
- Secret gardens
- Space is a place (feat. Chris Calderwood)
- Radiant child
Im Forum kommentieren
kapomuk
2018-12-22 23:48:16
Größtenteils schwer erträglicher Sprech-"Gesang" zu eher billigen Synthie-Sounds, nur ein Mal unterbrochen von einer durchaus stimmungsvollen Gitarren-Ballade.
https://tagpacker.com/user/peterhbg?t=Farai:_Rebirth_*
quasinebenbei
2018-12-17 08:10:57
Danke, dass das noch jemand so sieht. Eines der fettesten Alben des Jahres. Mind. 8/10
Fazituös
2018-12-10 23:52:15
Was Secret Gardens betrifft,würd ich gerne ein
wenig zurückrudern und auf das John Carpenter-
Sequenzing verweisen.Egal,die musikalische
Klammer bleibt auf jeden Fall der Spät-70er,
Früh-80er New Wave-Sound.Epigonal,aber trotzdem eigen.Starke Stimme,mindestens genauso starker Produzent.
kräk/ADHS
2018-12-10 23:26:39
Auch die zweite Hälfte fällt nicht ab(bis auf Space In A Place),wobei die Remineszensen sich
häufen:Love Disease ist eine kaum verschlüsselte Suicide-Hommage.Secret Gardens hat diesen speziellen Los Ninos De La
Parque-Drive.Und der Autotune-Einsatz bei Radiant Child ist blanker Sarkasmus ,der die
heutigen Produktionsstandarts veralbert.Ich
bleibe bei einer megastarken 8.Sehr,sehr starkes
Debüt.
ADHS
2018-12-10 22:47:42
Chapeau,erste Album-Empfehlung,die ich über
euch beziehe.Haut mich echt weg,muss ich sagen.Allein diese Tubeway Army-Synthies bei
Punk Champagne.Oder Lizzy:schöne Idee die
Queen via Affirmation zu dissen.Auch der Gitarrensong Talula weiss zu überzeugen.Ist von
euch viel zu niedrig bewertet.Bis jetzt(nach den
ersten 6 Stücken/Skits)mindestens 8.
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- Farai - Rebirth (7 Beiträge / Letzter am 22.12.2018 - 23:48 Uhr)