Soft Cell - The singles – Keychains & snowstorms

Mercury / Universal
VÖ: 28.09.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Drama im Spülbecken

Es ist vollbracht: Soft Cell haben nunmehr mindestens genauso viele Compilations wie reguläre Alben auf dem Kerbholz. Und können sich nach 40-jährigem Bestehen endlich beruhigt auflösen. Ob der schmalen Diskografie im Grunde eine Frechheit, dem Hörer zum vierten Mal alten Wein in neuen Schläuchen unterzujubeln, zumal die Trackliste sich auch hier nicht groß verändert hat. Doch wer wieder lediglich über Plastikmusik, elektronische Kühle, Neon-Chic und Homo-Erotik als Alleinstellungsmerkmal in den eingehenden achtziger Jahren schwadroniert, verkennt das Schaffen von Marc Almond und Dave Ball: Das Duo, das sich Stevo Pearce einst für sein Label Some Bizzare einsackte, während Daniel Miller Depeche Mode zu Mute Records lotste, gehört bis heute zum Besten und Stilvollsten, das dem Synthie-Pop je passiert ist.

Und da Soft Cell offenbar begeisterte Chronisten sind, beginnt auch diese Zusammenstellung ganz am Anfang. In puncto Erscheinungsdatum wie beim Titel: "Keychains & snowstorms" lautet eine Zeile aus der ersten Single "Memorabilia", nach der bereits eine frühere Best-of-Kopplung benannt war. Und was könnte die 20 Stücke besser lostreten als dieser spröde knatternde, für damalige Zeiten fast schon technoide Gefrierschrank von einem Dancefloor-Hit, in dem sich Almond mit Wucht als egomanischer Narziss inszeniert? "Covering up the bedroom to show you I've been there" – und die Vorstellung, wie der Brite sämtliche Einrichtungsgegenstände seines jüngsten One-Night-Stands anpimmelt, damit dieser etwas Bleibendes von ihm hat, ist auch vier Jahrzehnte später nicht weniger als köstlich. Stilvoll? War das zugegebenermaßen noch nicht allzu sehr.

Doch Soft Cell wollten mehr. Zuallererst die bluesige Verzweiflung und liebestolle Blauäugigkeit des Northern Soul: Wie das Duo die verschollene Gloria-Jones-B-Seite "Tainted love", The Supremes' "Where did our love go?" und "What!" von Judy Street mit synthetischem Blip-Blop aufbrezelte und ins Schwarzlicht zerrte, war schlichtweg phänomenal. Motive, die auch in der gestopften Trompete von "Torch" und dem aus allen Rohren feuernden Geschepper "Down in the subway" auftauchen – ebenfalls eine Coverversion, diesmal von einem Jack-Hammer-Song aus dem Jahr 1966. Und lässt Almond seiner Verehrung für Crooner wie Jacques Brel im schier unfassbaren Herzschmerz-Monolithen "Say hello, wave goodbye" freien Lauf, fließen Tränen und Kajal immer noch in Sturzbächen. Drama, Baby! Im Spülbecken und wenn's sein muss, auch im ranzigen Wohnklo.

Dort spielt auch das unwiderstehliche "Bedsitter" inklusive emuliertem Twang-Riff, und weitere unpastorale Seiten des Lebens folgen. Auch wenn man nach wie vor lieber nicht genau wissen will, was Almond mit dem "Sex dwarf" anstellt. Hauptsache, es jault ordentlich beim Tanzen. 1984 implodierte die Band, doch im Rahmen des Comebacks "Cruelty without beauty" warfen Soft Cell immerhin den prächtigen Hopser "Monoculture" in die Runde und enttäuschen auch 2018 mit den neuen Songs "Northern lights" und "Guilty ('cos I say you are)" nicht. Wer noch mehr will, etwa das überlange "Martin" oder die bläserstrotzende Loser-Hymne "It's a mug's game", muss sich für die 9-CD-Box von "Keychains & snowstorms" wohl circa einen Monat freinehmen. Doch auch diese 80 Minuten taugen zur Legendenbildung. "I can't remember / Give me a reminder"? Hier ist er.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Memorabilia
  • Tainted love
  • Bedsitter
  • Say hello, wave goodbye
  • Sex dwarf
  • Down in the subway

Tracklist

  1. Memorabilia (Single version)
  2. Tainted love
  3. Where did our love go? (Original / 7" single version)
  4. Bedsitter (Album version)
  5. Say hello, wave goodbye (7" single version)
  6. Sex dwarf (Original version)
  7. Torch (Original / 7" single version)
  8. Insecure me (Edit)
  9. What!
  10. Where the heart is (7" single version)
  11. Numbers (2002 edit version)
  12. Barriers (Edit)
  13. Loving you hating me (Best of edit)
  14. Soul inside (Album version)
  15. Down in the subway (Album version)
  16. Divided soul
  17. Monoculture
  18. The night
  19. Northern lights
  20. Guilty ('cos I say you are)
Gesamtspielzeit: 81:20 min

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Peppermint Patty

2018-12-01 07:31:38

Zudem ist die Tracklist diskutabel(wie immer).
Mit Frustation und Youth fehlen zwei ihrer besten
Songs.Aber ist auch kein Wunder,dass ich das
sage,war ich doch ein grosser Fan von Non-Stop
Erotic Cabaret.Da haben sich Ball und Almond
hervorragend ergänzt.Schon auf dem Nachfolger
The Art of Falling Apart hat sich diese Balance
immer mehr in Richtung Almond und dessen
Hang zur melodramatischen Geste verschoben.

7/10

2018-12-01 07:01:07

Die Musik ist nicht nur eigentlich hervotragend,
aber für diese unsägliche Verwertungspolitik
müsste man mindestens 2 Punkte abziehen.

Armin

2018-12-01 00:13:27- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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