Jean-Michel Jarre - Planet Jarre - 50 years of music

Columbia / Sony
VÖ: 14.09.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Völlig losgelöst

Nein, natürlich muss man Jean-Michel Jarre nicht mehr wirklich vorstellen. Sohn des berühmten Filmmusikers Maurice Jarre und einer ehemaligen Résistance-Kämpferin, der seinen Vater allerdings erst mit 18 Jahren kennenlernte, Abermillionen verkaufter Platten, und wohl immer noch – die Quellen sind sich mit den Zahlen nicht immer einig – gemeinsam mit Rod Stewart Weltrekordhalter für Besucherzahlen bei einem Live-Auftritt: Sagenhafte 3,5 Millionen erlebten das Spektakel zur 850-Jahr-Feier der Stadt Moskau im Jahr 1997. Man kann Jarre wohl mit einiger Legitimation als einen der kommerziell erfolgreichsten Künstler im Bereich der elektronischen Musik bezeichnen. Und auch wenn "Oxygene", die Platte, die dem Franzosen den endgültigen Durchbruch bescherte, 1976 erschienen ist, sind die ersten Gehversuche als Solokünstler aus dem Jahr 1968 verbrieft. Da trat der damals 20 Jahre alte Jarre dem französischen Institut "Groupe de recherches musicales" bei, um sich unter anderem mit der so genannten "Musique concrète" zu beschäftigen – der Ursuppe elektronischer Soundbasteleien, wenn man so will.

Nun ist es aber auch so, dass Jarre im Laufe der Jahrzehnte sehr vielseitige Interessen zeigte – Singles für den schnellen Franc zwischendurch gehörten nie wirklich dazu. Was die Zusammenstellung einer Compilation tendenziell eher schwierig gestaltet, zumal Jarre bereits 1991 mit "Images" den Weg ging, die ausgewählten Stücke neu zu verknüpfen und dadurch wie aus einem Guss erscheinen zu lassen. Nein, die Besonderheit in "Planet Jarre – 50 years of music" liegt vor allem darin, dass der Künstler selbst vier große Stilkategorien identifiziert hat, die er gleichermaßen zur Geltung kommen lässt. Da wäre zuerst die Kategorie "Soundscapes", die die Ambient-Seite des 70-Jährigen zeigt. Sanfte Keyboard-Teppiche wie "Oxygene 1" blubbern vorbei, ebenso die instrumentale Kälte von "Chronology 1", das genau deshalb bei seinem Erscheinen 1993 so umstritten war. Nur ob es wirklich sein musste, "Waiting for Cousteau" aufzunehmen, das im Original schlappe 42 Minuten lang ist und genau deshalb in rüde zusammengekürzten drei Minuten schlicht nicht funktionieren kann, sei dahingestellt.

Schon eher den Charakter einer Greatest-Hits-Sammlung hat da schon die zweite Kategorie, "Themes". Wobei dieses Kapitel für Kenner der Materie schnell abgehakt sein dürfte: Die Teile 2 und 4 von "Oxygene", Teile 4 und 5 von "Equinoxe", alles prima, alles nett, alles gefühlte hunderttausend Mal gehört. Dann aber wird es auf der zweiten CD richtig spannend. Denn das Kapitel "Sequences" zeigt, dass der Schöpfer sanfter Klangwelten auch anders kann. Während "Equinoxe 7" 1978 noch ein schöner Versuch war, ließ das donnernde "Revolutions" 1988 schon eher aufhorchen, nicht zuletzt weil dies der erste Track von Jarre mit echten Vocals war. Wirklich spannend daran ist vor allem, dass dieser Song irgendwie das dystopische "Exit" vorweggenommen zu haben scheint, das wohl extremste Stück aus der Feder des Franzosen, bei dem er Edward Snowden zu bretthartem Techno eindringlich über den Untergang der Privatsphäre zu Wort kommen lässt. 2018 ist das noch düsterer als noch 2016 auf "Electronica 2".

Was allerdings diese Compilation nicht nur lohnenswert, sondern geradezu essenziell macht, ist das vierte Kapitel "Explorations & early works". Klar, "Blah blah café" mit seinen zu Akkorden verfremdeten Sprachsamples war 1984 auf "Zoolook" absolut revolutionär. Und endlich sind Perlen wie die erste Single "La cage" von 1973 oder "The song of the burnt barns / La chanson des granges brulées" aus dem selben Jahr verfügbar. Das absolute Highlight jedoch, ohne Übertreibung eine Sensation, ist ein zwei Minuten langer Ausschnitt aus "Music for supermarkets" – der wohl seltensten Platte überhaupt. Ein Fanal gegen die Kommerzialisierung in der Musik, exakt ein Mal gepresst, für den sündhaften Gegenwert von heute 10.000 Euro versteigert für einen guten Zweck. Und nach der einmaligen Aufführung 1983 auf einem obskuren französischen Mittelwellensender ließ Jarre den Platten-Master gar zerstören, behielt aber offenbar doch einige Demo-Schnipsel für sich. "Planet Jarre – 50 years of music" ist genau deshalb eine höchst wertige, wenn auch mit verhältnismäßig arg knappen Liner-Notes ausgestattete Sammlung eines Künstlers, der die elektronische Musik vielleicht nicht immer revolutionierte – Alben wie "Geometry of love" oder "Téo & Téa" sind nun wahrlich verzichtbar –, dem Genre aber unwiederbringlich seinen Stempel aufdrückte.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Oxygene 1
  • Oxygene 2
  • Rendez-vous 2 (Laser harp)
  • Automatic part 1 (with Vince Clarke)
  • Exit (with Edward Snowden)
  • Blah blah café
  • Music for supermarkets (Demo excerpt)
  • The song of the burnt barns / La chanson des granges brulées

Tracklist

  • CD 1
    1. Oxygene 1
    2. Oxygene 19
    3. Rendez-vous 1
    4. Millions of stars
    5. Chronology 1
    6. Oxygene 20
    7. Equinoxe 2
    8. Waiting for Cousteau
    9. The heart of noise (Origin)
    10. Industrial revolution part 2
    11. Oxygene 4
    12. Equinoxe 5
    13. Oxygene 2
    14. Zoolookologie
    15. Bells
    16. Equinoxe 4
    17. Magnetic fields 2
    18. Rendez-vous 2 (Laser harp)
    19. Rendez-vous 4
    20. Chronology 4
  • CD 2
    1. Coachella opening
    2. Arpeggiator
    3. Automatic part 1 (with Vince Clarke)
    4. Exit (with Edward Snowden)
    5. Equinoxe 7
    6. Oxygene 8
    7. Stardust (with Armin van Buuren)
    8. Herbalizer
    9. Revolutions
    10. Ethnicolor
    11. Souvenir of China
    12. Blah blah café
    13. Music for supermarkets (Demo excerpt)
    14. Roseland / Le pays de rose
    15. La cage
    16. Erosmachine
    17. Hypnose
    18. The song of the burnt barns / La chanson des granges brulées
    19. Happiness is a sad song
    20. Aor bleu
    21. Last rendez-vous
Gesamtspielzeit: 161:48 min

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Armin

2018-12-01 00:12:25- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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