Ian William Craig - Thresholder

130701 / Fat Cat / H'Art
VÖ: 16.11.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Schadenfreude

Ein catchy Song ist schon was Feines. Mitträllern, mitpfeifen oder auch ausgelassen tanzen kann man dazu, eine solide Melodie, Schlagzeug und dann noch bitte einen eingängigen Refrain, ja? Wie gesagt wunderbar, Musik kann aber noch ganz anders, wirklich ganz anders. Ian William Craig hat so seine Erfahrungen mit dem eher klassischen Songwritertum, aber auch mit der Manipulation von Instrumenten und der eigenen Stimme bis hin zu den Eigenheiten diverser Aufnahmeprozesse. Dieses Können steckt geballt, aber unaufdringlich in "Thresholder", einer Art Album, das man oftmals etwas unbeholfen als Klanggedicht bezeichnet. Dennoch trifft dieser Begriff zu, wenn man bedenkt, dass Craig sich hier wie bei einem Gedicht von der narrativen Eigenschaft seiner Musik abwendet und die Klangmittel, also die Sprache selbst, in den Mittelpunkt rückt.

Spannend dabei ist vor allem, wie viel Bedeutung auf analogen Störgeräuschen liegt. Einfache Melodiefiguren und gar nicht so einfacher Chorgesang werden oftmals vom Rascheln und Rauschen angegangen, als fräße sich der Zahn der Zeit genüsslich vor aller Ohren durch die Klangfolgen. Da hört man die Knitter im Tape und die Staubpartikel in der Plattenrille. All diese akustischen Störenfriede haben aber ihre durchaus musikalischen Finessen, schwellen zum Beispiel rhythmisch an und ab, intensivieren sich fast folgerichtig, bieten Dramaturgien der Schadhaftigkeit. Craig hat mit diversen Tape-Decks gearbeitet, ihre mechanischen Geräusche finden sich unter anderem im nach einem dieser Geräte "TC-377 poem" benannten Stück. Dieses zeigt seinen Gesang in der Umarmung eben jener Schleifen- und Spurgeräusche, ein eleganter Kampf. Der fast schon gregorianisch anmutende Chorgesang in "Idea for contradiction 1" wurde in einer Zisterne in der Nähe Göteborgs aufgenommen und die Begräbnisorgel von "Some absolute means" scheint aus einer gewaltigen Kapelle zu stammen, die ein zugiger Wind durchweht. Ein wenig schmunzeln muss man, wenn man bedenkt, dass letztgenanntes Instrument bei einer Band wie Queen für den Auftakt einer witzigen Hausputz-Pop-Nummer herhalten musste. Hier jedenfalls erhält es seine volle Ernsthaftigkeit zurück.

Was alle Instrumente und Gesangsspuren eint, ist jedoch ihre Flüchtigkeit, ihr vergänglicher Charakter. Meist befinden sich die Melodien hinter einem schwer durchschaubaren Filter, lassen sich im Ganzen nur erahnen und zu Ende denken, doch wie gesagt: Der Makel, der Verfall – all das ist beabsichtigt. Dessen Schönheit und Kunstfertigkeit sind für Craig ein entscheidender Teil seiner Arbeit, oder wie er selbst sagt: "Nahezu alle meine Musik richtet den Blick auf die Schönheit des Verderbens, auf Mächte jenseits unser Vorstellungskraft und feiert unseren unausweichlichen Verfall." So etwas bekommt eine Ariana Grande mit ihren zugegebenermaßen zauberhaften Songs dann eher nicht hin.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Some absolute means
  • TC-377 poem
  • Idea for contradiction 1

Tracklist

  1. Elided
  2. Some absolute means
  3. TC-377 poem
  4. Mass noun
  5. Idea for contradiction 1
  6. And therefore the moonlight
  7. The last Wesbrook lament
  8. Discovered in flat
  9. Sfumato
  10. Idea for contradiction 2
  11. More words for mistake
Gesamtspielzeit: 37:10 min

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Max der Musikliebhaber

2020-03-25 14:50:13

Schöne Rezension. Die sieben Punkte gehen völlig in Ordnung.

Wer Lows "Double Negative" mag, dem könnte auch dieses Album gefallen. :)

Armin

2018-12-01 00:14:36- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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