Vince Staples - FM!
Def Jam / UniversalVÖ: 02.11.2018
Vor mir die Sintflut
"Pop Punk is not dead!" Was wie die Legitimierung eines peinlichen Blink-182-Tattoos aus Jugendtagen klingt, dachte sich HipHop-Hoffnung Vince Staples wohl auch bei der Visualisierung seines dritten Albums: Das Cover von "FM!" erinnert in seinem Bubblegum-Comic-Stil und den zahlreichen popkulturellen Referenzen verdächtig an das Artwork von Green Days Pop-Punk-Meilenstein "Dookie". Folgt also auch musikalisch ein ästhetisches Revival, wie es etwa Rapper wie Lil Peep oder XXXTentacion mit 90er-Emo-Gitarren handhabten? Mitnichten, und angesichts jüngster Versuche, Rock wieder im Rap zu etablieren, ist das wahrscheinlich auch ganz gut so. "FM!" ist nämlich trotz Cartoon-Cover und konzeptuellem Bezug auf das Medium Radio vor allem eines: dem Zeitgeist dicht auf den Fersen.
Dabei hatte Staples letztes Jahr mit "Big fish theory" bereits einen kleinen Meilenstein veröffentlicht, der so gar nicht in den Rap-Mainstream der Zeit passte, sich stattdessen an abgründigen Berliner Techno-Beats orientierte – und wahrscheinlich gerade deshalb als moderner HipHop-Klassiker gefeiert wurde. In bester Kendrick-Manier fährt "FM!" nach dem großen Kunst-Album aber den avantgardistischen Anspruch zurück und konzentriert sich aufs Wesentliche: eingängigen, kurzweiligen und auf der Höhe der Zeit produzierten Trap – dem es aber gerade dadurch auch an Alleinstellungsmerkmalen fehlt. Kein Song sticht dabei nennenswert heraus, musikalisch hangelt sich Staples zwischen repetitiven Glockenspiel-Samples und New-School-Drums hin und her und hat trotz stimmigen Soundbilds rein instrumental leider recht wenig zu sagen.
Thematisch macht allerdings schon der Opener "Feels like summer" (feat. Ty Dollar $ign) mit Migos-Beat und dazugehöriger Ohrwurm-Hook klar, worum es auf den nur 22 Minuten des Albums gehen wird: "Cold weather won't stop no gunner / Wrong hat, wrong day, I'll kill my brother." Wie omnipräsent kriminelle Gangs in Kalifornien sind, wurde Staples in den letzten Jahren weder in Interviews noch seiner Musik müde zu erwähnen. Zeilen wie "Don't be lookin' funny when we come up in the store / My black is beautiful but I’ll still shoot at you, dawg" aus dem grimmigen "Fun! (feat. E-40)" kombinieren dabei rohe Lebenshärte und bitterböse Rassismus-Kritik. Auch wenn sich der 25-Jährige laut eigener Aussage so gut es ging von besagten illegalen Machenschaften entfernt hat und sich der HipHop-Szene ebenso wenig zugehörig fühlt, bleibt auf "Run the bands" trotzdem das gewisse Maß an schwarzhumoriger Provokation: "House so big need Kanye lipo / Nikes Off-White like half-time Michael / Him no play, him Bateman psycho" wirft den psychopathischen Killer aus "American Psycho" zusammen mit Kanye West und Michael Jackson in einen Hut.
Zu philosophieren, ob es sich bei "FM!" nun um ein Mini-Album, eine EP, ein Mixtape oder gar eine Playlist handelt, führt wegen des konzeptuellen Überbaus ins Leere. Vince Staples führt die Multimedialität einer vernetzten, postmodernen Welt ad absurdum und macht das totgesagte Medium Radio zum identitätsstiftenden roten Faden. Ankündigungen von Radiomoderatoren und Fake-DJ-Scratches zwischen den Songs erwecken beim Hören mitunter wirklich den Eindruck, als würde man seinem Lieblings-Radiosender aus "GTA: San Andreas" im Jahre 2018 zuhören. Angesichts Single-Orientierung und Playlist-Wahn in den hiesigen Streaming-Portalen ist die Idee der lose aneinandergereihter Songs, ohne überlebensgroße Vision im Rücken wie bei "To pimp a butterfly" oder eben "Big fish theory" vielleicht sogar aktueller denn je. Das Nicht-Konzept von "FM!" übersteigt daher ironischerweise so manches noch so minutiös geplante Album-Epos.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Feels like summer (feat. Ty Dollar $ign)
- Relay
Tracklist
- Feels like summer (feat. Ty Dollar $ign)
- Outside!
- Don't get chipped (feat. Jay Rock)
- Relay
- New earlsweatshirt (feat. Earl Sweatshirt)
- Run the bands
- Fun! (feat. E-40)
- No bleeding (feat. Kamaiyah)
- Brand new Tyga (feat. Tyga)
- (562) 4539382
- Tweakin' (feat. Buddy, Kehlani & Vonnie)
Im Forum kommentieren
Nun
2018-11-27 08:28:03
Damn ist en großer Blender und eine herbe Enttäuschung nach TPAB und goodKID.
Das Jay-Z Album ist versteckt hinter Tidal.
Die anderen sind einfach nicht meins.
Finde 2018 deutlich stärker was das Genre betrifft.
maxlivno
2018-11-27 02:33:44
2017: Loyle Carner, Joey Badass, Stormzy, Jay-Z, Wiley, Big K.r.i.t. Um mal nur ein paar aus dem Jahr 2017 zu nennen.
Pascal
2018-11-27 00:32:27
Ähm, "Damn"?
Nun
2018-11-26 12:35:12
Big Fish Theory war tatsächlich ne gute Platte, nur die Flower Boy fand ich 2017 en gutes Stück besser.
Außer Brockhampton gab's 2017 aber auch nicht solch eine große Konkurrenz.
The MACHINA of God
2018-11-25 13:51:22
Nach dem wahnsinnien Debut und dem starken Zweiling tatsächlich ein Enttäuschung. :)
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