Audiobooks - Now! (in a minute)
Heavenly / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 02.11.2018
Dada ist das Ding!
"Wie geht's Dir denn so?" "Ach, ich fühle mich heute irgendwie Wuppertal." Komischer Dialog, denkt Ihr? Nicht, wenn man eine Weile in der schrägen Gedankenwelt von Evangeline Ling und David Wrench verbracht hat. Sie ehrgeizige Kunststudentin, er ein angesagter Musikproduzent und zusammen, als Audiobooks, drehen sie den Pop auf links. Da heißt es halt auch mal: "It get be so Swansea", und immer, wenn man denkt, jetzt kann man sich bei "Now! (in a minute)" auf etwas verlassen, kracht schon wieder die Unwägbarkeit einer aufmüpfigen Persönlichkeit dazwischen, soll heißen, Ling sabotiert die teilweise recht nahbaren und eindringlichen Dance-Pop-Nummern mit losgelöstem Quieken, Stöhnen und Röcheln. Das mag zunächst Irritationen auslösen, man findet aber nach und nach gute Gründe, diesem Gespann seine Aufmerksamkeit zu schenken.
Die infektiöse Popgeste gibt sich nämlich ein ganzes Stück unwägbarer und aufregender, wenn man das Gefühl hat, die Hauptdarstellerin laboriere an einer ausgeprägten Dada-Psychose. Da treffen in "Hot salt" oder "Dance your life away" feiererprobte Dancegrooves auf billig im Ein-Euro-Laden erstandene Tastenklänge, während Lang mal sexy, mal völlig unberechenbar wirkt. Aus laszivem Säuseln wird schnell ein kieksiger Kampfschrei, und wenn sie einem männlichen Bekannten klar macht, dass sie keinen Sex wolle, nur ein platonisches Schaumbad zu zweit, sind einfache Erklärungen so langsam ausverkauft. Das Schöne dabei ist, dass man diesem Duo beim Austoben zuschauen kann, ja, sie haben Spaß an Balearengrooves und animierenden Melodien, ein kleiner Mind-Fuck muss aber eben auch sein. Also einfach mal einen apokalyptisch eingefärbten Westernakkord aus der Sonnenuntergangsgitarre rausholen und damit der übergeordneten Stimmung einer Dance-Platte kräftig den Stinkefinger zeigen: Kann das ungleiche Paar und macht es auch, genauso wie torkelnden Dream-Pop oder Sado-Maso-Industrial.
Eine weitere Extravaganz sind die Spoken-Word-Stücke "Grandma Jimmy" und "Call of duty free", die aberwitzige Familiengeschichten erzählen, welche die lauernde Schizophrenie im bürgerlichen Glück aufdecken und mit jeder Menge flirrenden, klaustrophobischen oder auch schlicht albernen Klangideen, sei es mit einem durch den Filter gejagten Bass oder mit Hitchcock-Keyboard-Traumata, die Grenzen zwischen ausgelassener Blödelei und bedrohlicher Geistesanspannung munter verwischen. Das Super-Nintendo-Casio-Gedudel von "Spooky algorithms" weiß auch nicht lange mit zahnlückenhafter Zuckerdusche über die gefährlichen Seiten des Durchdrehens hinwegzutäuschen, denn auf halber Strecke leiert das Instrumentarium bedrohlich.Wenn übrigens von Gefahr die Rede ist, dann von einer für die anderen, denn auf ihren ausgefallenen Emotionsspaziergängen wirkt Ling immer selbstbewusst und selbstbestimmt, auch wenn in ihrem Umfeld die Melodien einbrechen oder gleich über Bord gehen. Und so bietet "Now! (in a minute)" gleich drei besondere Vergnügen: Zum einen lässt sich phasenweise herrlich ausgelassen tanzen zu dieser Musik. Zweitens offenbart sich hier eine vielschichtige Künstlerin, die im Erbe von Yoko Ono oder Karen O. steht. Und drittens kommt auch noch das kompositorische Geschick David Wrenchs dazu, der klaffende Abgründe inmitten grellbunter, gleißend heller Soundlandschaften ausmacht und so aus diesem Album einen bunten Fiebertraum mit Direktverbindung zur geistigen Umnachtung macht. Fühlt sich Swansea an.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hot salt
- It get be so Swansea
- Dance your life away
- Call of duty free
Tracklist
- Mother Hen
- Hot salt
- It get be so Swansea
- Friends in the bubblebath
- Womanly blood
- Grandma Jimmy
- Dance your life away
- Call of duty free
- Period talk
- Spooky algorithms
- Dealing with hoarders
- Car sick
- Pebbles
Im Forum kommentieren
MasterOfDisaster69
2018-11-17 19:26:48
Ja, alt, aber auch erfahrener und weise, um sofort zu erkennen, dass hier nichts Bemerkenswertes passiert. Aber hier eine 8/10, jetzt schon ein Klassiker (im PT-Universum). Mal schauen, wer sich am Ende des Jahres noch an diesen Schrott erinnert...
Christopher
2018-11-17 15:21:04
Ich halte dieses penetrante Gedöns keine drei Minuten aus. Werde ich alt?
Armin
2018-11-15 21:09:24- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Audiobooks - Astro tough (3 Beiträge / Letzter am 15.12.2021 - 12:41 Uhr)
- Audiobooks - Now! (in a minute) (3 Beiträge / Letzter am 17.11.2018 - 19:26 Uhr)