Marie Davidson - Working class woman
Ninja Tune / GoodToGoVÖ: 05.10.2018
"Is this album about taking risks?"
Der Club. Marie Davidsons zweites Zuhause. Doch da sind noch andere Leute bei ihr. Die sie dort eigentlich nur nerven. Zum Beispiel: ihr "biggest fan". Mit ihm beginnt ihr Album. "Your biggest fan" ist ein aus musikalischer Sicht minimalistischer Track, im Vordergrund steht der Text. Die Sängerin schlüpft in die Rolle ihres angeblichen Anhängers, der Aufmerksamkeit sucht ("I love your music"), blöde Fragen stellt ("Do you have drugs?"), eigentlich gar keine Ahnung von Frau Davidson hat ("Do you play in a band?") und so tut, als führe er ein schlaues Interview (siehe Überschrift). Das Ganze ist nicht gerade ein Song, aber eine passende Einstimmung, was einen auf diesem Album erwartet. Keine hedonistische Flucht auf die Technoparty, viel eher: kritische und nachdenkliche Poesie.
"Working class woman" ist Marie Davidsons viertes Album. Für ihre Clubkultur-kritische Clubmusik ist die Kanadierin bereits seit der letzten Platte "Adieux au dancefloor" bekannt. "Working class woman" weitet den Handlungsrahmen jetzt auf die ganze Gesellschaft aus. Und der Titel zeigt schon Davidsons Vorliebe für Widersprüche und Zynismus. Schließlich behandelt sie in ihren Texten nicht explizit den Kampf der Arbeiterklasse gegen die Ausbeutung, es geht eher um Arbeit auf der persönlichen Ebene. Beim Electroclash-Stück "Work it" etwa, das Arbeit als Rezept zum Überleben in dieser Gesellschaft darstellt. Untermalt von einem passend monotonen Fließbandbeat, spricht Davidson über ihren Job als Mittel zur Problemverdrängung, um nicht mehr über die wirklich wichtigen Dinge nachzudenken. Und nicht nur unter der Woche, sondern "from Monday to Friday, Friday to Sunday". Beim Refrainvers "Work to be a winner" weiß man nicht mehr, ob das jetzt noch Lustigmachen über neoliberale Werbesprüche ist, oder einfach Davidsons ernstgemeinte Lebensphilosophie. Der Grad zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit ist nicht immer ganz klar, aber gerade dadurch sind ihre Texte so vielschichtig und nah dran an der Wahrheit.
Zwischendurch gibt es dann einen Track wie "Lara", der ohne Text auskommt und mit seinem Rhythmus und den Synthesizern direkt in einem Technoclub laufen könnte. Viel klingt auch nach Minimal Wave, und Davidsons Attitüde ist mit Sophies neuem Album "Oil of every pearl's un-insides“ vergleichbar. Aber ihr Alleinstellungsmerkmal sind nun mal die Texte, vielleicht sollte man also eher literarische Referenzen anführen. Einer ihrer Lieblingsautoren ist Philip K. Dick, bekannt als Erschaffer dystopischer Science-Fiction-Welten, und Davidsons Blick auf die Gesellschaft hat Ähnlichkeiten mit den Noir-Krimis eines Raymond Chandler. Als Hörer ist es ratsam, besonders auf die Lyrics zu achten, sonst verpasst man etwas Entscheidendes und tut auch dem ganzen Konzept dieses Albums Unrecht.
Manchmal sollte man aber auch nicht zu tief grübeln. Sonst bleibt auch bei "So right", dem mit Abstand poppigsten Lied, ein schaler Nachgeschmack. Davidson singt hier sogar, und was für erhabene Zeilen: "He's got me feeling so right / The music is so nice / I feel like I could die happy / Die happy tonight." Ist das versteckte Kritik an der unkritischen Einreihung in Drogenlifestyle und Alltagsflucht? Tolle Musik ist es allemal.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Work it
- Lara
- So right
Tracklist
- Your biggest fan
- Work it
- The psychologist
- Lara
- Day dreaming
- The tunnel
- Workaholic paranoid bitch
- So right
- Burn me
- La chambre interieure
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Pippo
2019-02-07 07:53:39
Bin ich soeben zufällig drauf gestossen, allerdings nur indirekt, und zwar über einen Nina Kraviz-Remix von Workaholic Paranoid..Muss ich mir mal näher zu Gemüte führen.
MasterOfDisaster69
2018-11-07 18:46:46
Tolle Musik? Zusammengeklauter DJ-Shit und schlecht obendrein. "Work it" hoert sich wie schlechte Nitzer Ebb aus den 80er an. Und so ein Schrott bekommt ne 7/10 !
tse tse...
Armin
2018-11-01 22:18:33- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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