Unknown Mortal Orchestra - IC-01 Hanoi
Jagjaguwar / CargoVÖ: 26.10.2018
Hä?
Im Anschluss an den ersten, knapp 30-minütigen Durchgang von "IC-01 Hanoi" muss man sich als Hörer doch wundern. Nach vier Alben, auf denen die Band um Mastermind Ruban Nielson sich immer weiter auf den Olymp des intelligenten Indie-Rock empor gespielt hat, legen die Neuseeländer nun sieben Instrumental-Tracks vor, die sie vom Götterberg hinunter in einen düsteren Jazz-Club katapultieren. Der Pressetext liefert eine erste Antwort, auf die in der Überschrift formulierte Frage: Während sie Teile des Anfang 2018 erschienenen Albums "Sex & food" in den Phu Sa Studios in Hanoi aufnahmen, spielte die Band kurzerhand auch noch eine Live-Session mit dem vietnamesischen Musiker Minh Nguyen ein. Klingt nach einem verkopften Jam, ist aber alles andere als leicht verdaulich.
"Hanoi 1" baut mit hektischen Drums und entrücktem Gitarren-Solo eine chaotische Atmosphäre auf, die vom psychedelischen "Hanoi 2" gleich wieder befriedet wird, woraufhin "Hanoi 3", ein zwei Minuten langes Flöten-Solo von Nguyen, einen weiteren Gang runter schaltet. Der Hörer kann da kaum folgen, "Hanoi 4" ist plötzlich scheppernder Garage-Rock. Kohärent klingt anders. Wenn man das anfängliche Erstaunen überwunden und sich an den Rhythmus des Albums gewöhnt hat, gibt es dann allerdings atmosphärisch doch so einiges zu entdecken. Nach und nach erhält man Zugang zu diesem wilden Mix aus Jazz, Krautrock und vietnamesischen Einflüssen. Besonders das fast zehn Minuten lange Kernstück "Hanoi 6" begeistert damit, wie es sein psychedelisches Gewand im Songverlauf ablegt und sich immer mehr düsterem Jazz hingibt, der auch gut einen besonders finsteren Film-Noir-Thriller untermalen könnte. Das schimmernde Saxophon, das sich gegen Ende in Ekstase bläst, macht das Stück zum Highlight des Albums. Gespielt wird es von Nielsons Vater Chris. Nguyen sorgt mit einer Maultrommel für das gewünschte Lokalkolorit.
Die Band sieht das Album in einer Linie mit Miles Davis' "On the corner", einer der kontroversesten Veröffentlichungen der Jazz-Geschichte. Von der Hand zu weisen ist der Vergleich nicht, auch Davis bietet auf seinem Album ausufernde Experimental-Kompositionen. Bei den Kritikern fiel er damit seiner Zeit durch, erst in der Rückschau wurde das Album für seinen richtungsweisenden Charakter für entstehende Genres wie den Hip-Hop gerühmt. Eine Aussage darüber, ob Unknown Mortal Orchestra mit "IC-01 Hanoi" ein ähnlich visionäres Werk vorgelegt haben, kann noch nicht getroffen werden. Mit der Entscheidung für ein reines Instrumental-Album haben sie auf den erdenden Faktor ihrer auch sonst überirdischen Kompositionen verzichtet. Ohne Ruban Nielsons Gesang wird einem der Einstieg deutlich erschwert und selbst nach dem Reinkommen und Warmwerden kann das große "Hä?" nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Dass die Experimentierfreude der Band nicht abzureißen scheint, macht in jedem Fall aber Laune auf die nächste richtige Veröffentlichung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hanoi 4
- Hanoi 6
Tracklist
- Hanoi 1
- Hanoi 2
- Hanoi 3
- Hanoi 4
- Hanoi 5
- Hanoi 6
- Hanoi 7
Referenzen
Spotify
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