Fynn Kliemann - Nie

TwoFinger / KrasserStoff
VÖ: 28.09.2018
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Die Wiederentdeckung der Ehrlichkeit

Als Jan Böhmermann vor anderthalb Jahren mit seinem Lied "Menschen Leben Tanzen Welt" die deutsche Popindustrie zerpflückte, fühlten sich diejenigen mal wieder bestätigt, die sich bis jetzt ohnehin nicht vom Gegenteil überzeugen lassen wollten und der Meinung sind: Guter deutscher Pop ist rar gesät bis nicht existent. Selbst talentierte Musiker wie Clueso sind diesen Musikmiesepetern zu kitschig und AnnenMayKantereit sowieso zu banal. Auftritt Fynn Kliemann: Der mit Heimwerker-YouTube-Videos bekannt gewordene Tausendsassa schickt sich an, die größten Hater und Fürsprecher der bisher genannten Künstler in seiner Fanbase zu vereinen. In den sozialen Medien kann man nämlich nachlesen, dass Kliemann etwas liefert, was den meisten Musikhörern scheinbar jahrelang im Pop gefehlt hat: Ehrlichkeit.

Wie macht der das? Da ist einerseits die Art der Bewerbung. Mit der selben charmanten Chuzpe, mit der er seit 2016 einen Hof in Niedersachsen zu einem Kreativ-Zentrum ummodelte, dokumentierte er auch den Produktionsprozess von "Nie". Er hat das Angebot eines Major-Labels ausgeschlagen, kurzerhand TwoFinger Records gegründet und – weil ihm nach Eigenaussage die "verschwenderische Produktion von Musik" widerstrebt – das Album physisch nur exakt so oft produziert, wie es vorbestellt wurde. Trotz den lauten Forderungen nach einer Live-Tour, hat er bisher wegen "Schiss" keine Auftritte geplant. Ja, Fynn Kliemann ist sympathisch und wirkt vor allem auch authentisch.

Dann ist da die Musik selber, die hier nicht zu kurz kommen soll. Das zentrale Element der elf Stücke ist Kliemanns rauer Gesang, der nach Whiskey-und-Zigaretten-Fahne klingt und maßgeblich für den Eindruck von Ehrlichkeit verantwortlich ist. Eigenwillig, zerbrechlich und intim klingt das, wenn Kliemann schöne Zeilen singt wie "Ich bin riesig, aber Du viel größer als ich / Alles jetzt, alles wichtig, aber wichtiger als Du ist mir nichts". Besonders in den ruhigsten Balladen, wie dem gerade zitierten "Zuhause" oder "Sardinien", kann Kliemann eine angenehme Balance von kitschig und geschmackvoll halten. Der Opener "Morgen" ist dagegen druckvoller Pop. "Wenn der Morgen beginnt, dann bin ich schon da", singt Kliemann über ein staccatoartiges Klaviermotiv und setzt der unbeliebten Tageszeit damit ein ansprechendes Denkmal. In der Mitte des Stücks werden – wie passend – einige Takte aus Edvard Griegs "Morgenstimmung" eingestreut.

Solche Einfälle wirken oft clever, an anderer Stelle deplatziert. Das überbordende "Bis Seattle" ist mit Gesprächsschnipseln unterlegt, die keinen Mehrwert für die Musik haben. Reduktion auf das Wesentliche, nämlich Klavier und Gesang, wäre hier vermutlich effektiver. "Bau mich auseinander" kann man dafür als weiteren Beleg heranziehen. Stimme und Instrument ergänzen sich so wunderbar, dass die Elektro-Beats im Hintergrund fast störend wirken. Generell klingen die Beats oft so künstlich, dass sie der Ehrlichkeit eher im Weg stehen, als ihr zuzuspielen. Im melancholisch-knalligen "Kieztränen" wiederum passt alles zusammen, sogar eine Trompete fügt sich fantastisch in das Stück ein. Lyrisch bewegt sich Kliemann meist im Greifbaren, arbeitet gerne mit Gegensatzpaaren wie "jung" und "alt", reimt alles aufeinander, was man durch Nuscheln und Dehnen aufeinander reimen kann, droht aber nie in die Trivialität abzurutschen, die solcher Musik so oft unterstellt wird. Abstrakter ist da das melancholische "Der Mann und das Meer", in dem sich erst gegen Ende erschließt, dass das Lied von Kliemanns Vater handelt. Ehrlichkeit hin oder her, "Nie" ist ein vielversprechendes Debüt, dessen Erfolg nicht nur nachvollziehbar, sondern auch verdient ist.

(Simon Conrads)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Zuhause
  • Bau mich auseinander
  • Kieztränen
  • Sardinien

Tracklist

  1. Morgern
  2. Bis Seattle
  3. Dunkelblau
  4. Zuhause
  5. Bau mich auseinander
  6. Kieztränen
  7. Dieses Leben
  8. Sardinien
  9. Jede Wette
  10. Immer nur da
  11. Der Mann und das Meer
Gesamtspielzeit: 35:47 min

Im Forum kommentieren

Bremer Stadtmusicunt

2018-10-29 12:43:12

Sympathischer Typ. Aber seine Musik geht leider gar nicht. Diese schreckliche Stimme!

Tracklist der neuen EP

2018-10-29 08:24:33

"Hoffnung :

1. Hoffnung
2. Gib niemals auf
3. Ein harter Wind
4. Sandkastenliebe
5. Bitte bleib

Capo di tutti capi

2018-10-29 07:28:41

Der Alles-Mensch.Leute wie ihn muss man einfach mögen.

Mister X

2018-10-29 07:16:57

Album kann das Niveau von Zuhause nicht halten.

edegeiler

2018-10-29 00:38:38

echt sympathischer dude, aber kann mir seine stimme nicht geben, seine attitüde nicht geben, seine songs nicht geben, gar nix davon geben.

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