MØ - Forever Neverland

Columbia / Sony
VÖ: 19.10.2018
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Young adult

Die 30 ist eine besondere Zahl. Wo die meisten Normalsterblichen mit Finalisierung des dritten Lebensjahrzehnts erst so richtig im geordneten Alltag ankommen, scheint bei manchen Personengruppen, seien es etwa Popstars, Profi-Fußballer oder Models, das erzwungene Karriereende wie ein Verfallsdatum immer näher zu rücken. Karen Marie Ørsted ist 30 und lässt sich der ersten Gruppe zuordnen. Wobei es der als MØ bekannten Dänin vielleicht auch ein bisschen entgegenkommt, dass ihr der ganz große Durchbruch bisher noch verwehrt blieb, obwohl sie mit Major Lazers "Lean on" einem der meistgestreamten Songs überhaupt die Stimme lieh. Dennoch spiegelt ihr zweites, vielsagend betiteltes Album "Forever Neverland" in erster Linie die Ängste seiner Erschafferin wieder: vor dem Erwachsenwerden, dem Identitätsverlust und der Standfestigkeit im schnelllebigen, wenig verzeihenden Pop-Zirkus. Der Musik hört man das auch durchaus an. Ørsted schmeißt schon längst nicht mehr mit trashigen Rap- und Punk-Parts oder Song- und EP-Titeln wie "When I saw his cock" oder "Pussy in your face" um sich herum, sondern präsentiert ihren massentauglichen Pop konziser und gereifter.

Sie knüpft damit nahtlos an ihr Debütalbum "No mythologies to follow" an, welches zwar ungleich unbeschwerter daherkam, unter seiner Melange von skandinavischem Pop und amerikanischen, basslastigen HipHop-Standards aber auch schon Reflexionen von Unsicherheit und innerer Unruhe zuließ. Mit einem illustren Produzenten-Team von Charts-DJ Diplo bis zur Avantgarde-Ausnahmekünstlerin Sophie gibt sich "Forever Neverland" im Rahmen seiner formalen Beschränkungen ähnlich eklektisch. Stellenweise passiert unglaublich viel in den Tracks. Das grandiose "Way down" baut sich als drückender Banger mit Synths und 808s auf, bis sich eine Panflöten-Hook Bahn bricht und Ørsted ihre Stimme bis zur One-Woman-Girlgroup vervielfacht. "Blur" könnte zu Beginn mit Akustikgitarren und leicht schräger Elektronik tatsächlich aus dem Raritätenschrank Damon Albarns stammen, öffnet sich später aber zum euphorischen, mitreißenden Hit, der Katy Perry und Konsortinnen einmal auf links dreht. Zwar mogeln sich auch immer wieder ein paar arg formelhafte Serienmodelle wie "I want you" oder "Sun in our eyes" rein, doch auch hier verhindern produktionstechnische Spielereien, sowie der leidenschaftliche, herrlich raue Gesang ein Abdriften in die totale Banalität.

Leider steht "Forever Neverland" nur etwas mit sich selbst im Widerspruch. Die introvertierten Texte und die zwar nicht gerade minimalistischen, aber ausdifferenzierten Arrangements beißen sich an so mancher Stelle mit dem Songwriting, das fast immer die schnellstmögliche Ausfahrt zur nächsten Hook sucht. Solange diese zündet, ist das absolut kein Problem – "Red wine" gelingt hier unter Mithilfe von Empress Of am eindrucksvollsten, verschleppt einen Reggae-Beat bis zur dynamischen Monster-Hymne und passt mit seinem Hedonismus auch wunderbar ins Konzept: Was gibt es schließlich für einen reineren Ausdruck jugendlicher Sorglosigkeit als den Wunsch nach einem ordentlichen Saufgelage? Dieses Niveau wird aber nicht immer erreicht und das gerät zum Makel. Ørsted ist ein Charakterkopf, deren Eigenheit in jedem gesungenen Wort zu hören ist, doch die Musik vermag diese nicht immer gescheit abzubilden. Immerhin kann das luftig-schöne ""Purple like the summer rain" zumindest für einen versöhnlichen Abschluss sorgen, wenn hinter Polyrhythmik und Synthie-Hall die Sehnsucht nach der ewigen Jugend am deutlichsten wird und schließlich ins Poetische übergeht: "Where the skies are blue / Let me float." Als 30-jährige Mainstream-Pop-Künstlerin steht Ørsted möglicherweise schon mit einem Bein im Karrieregrab, doch den Kopf behält sie weiterhin hochgereckt im Himmel ihres ganz eigenen Nimmerlands.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Way down
  • Blur
  • Red wine (feat. Empress Of)

Tracklist

  1. Intro
  2. Way down
  3. I want you
  4. Blur
  5. Nostalgia
  6. Sun in our eyes (with Diplo)
  7. Mercy (feat. What So Not)
  8. If it's over (feat. Charli XCX)
  9. West Hollywood
  10. Beautiful wreck
  11. Red wine (feat. Empress Of)
  12. Imaginary friend
  13. Trying to be good
  14. Purple like the summer rain
Gesamtspielzeit: 44:48 min

Im Forum kommentieren

MopedTobias (Marvin)

2018-11-09 18:15:36

Klingt vielleicht böser, als es gemeint ist, ich mag sie. Den Glätte-Vorwurf muss sie sich aber gefallen lassen, das ist über weite Teile schon sehr arg generisch.

Come on

2018-11-09 15:30:19

Ganz schön bissig....
Das hat sie nicht verdient.

MopedTobias (Marvin)

2018-11-09 10:40:12

Dann bleibt aber nicht allzu viel übrig...

Lugee

2018-11-09 09:40:00

Manchmal darf es auch unbeschwerter Pop sein, wenn mit so hübscher, leicht spröder Stimme. Und die zu glatten Songs kann man ja skippen / aus der Playlist rausnehmen 8-)

Armin

2018-10-14 19:56:14- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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