Kingcrow - The persistence

Sensory / Al!ve
VÖ: 07.09.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Der schmale Grat

Vor gut 250 Jahren wurden Sonaten im Barock lediglich in Dur aufgelöst. Der Moll-Schlussakkord besaß keine Daseinsberechtigung. Die sogenannte Picardische Terz verwandelte jedes noch so abgründige Stück am Ende in gleißende Positivität, aus heutiger Sicht und mit dem Wissen aus zwei Jahrhunderten Klassik, Romantik und Avantgarde würde man fast sagen: Kitsch. Zurück in der Gegenwart wird der Metal, gerade die progressiveren und experimentelleren Spielarten bis hin zum Djent, gerne als das kontemporäre Pendant zur klassischen Musik angesehen. Und auch wenn Kingcrow weit vom technischen Wahnsinn einer Band wie Animals As Leaders entfernt sind, so hätten sie den alten J. S. Bach auch vielleicht so stolz gemacht.

Das mittlerweile siebte Album der italienischen Progressive-Metal-Band propagiert auf seiner ganzen Länge nämlich einen umgekehrten Ansatz. Der Opener "Drenched" fungiert ganz in moderner Dream-Theater-Manier als Ouvertüre für die Metal-Oper, die in den kommenden 55 Minuten folgen wird. Strahlende, eingängige Gitarrenriffs, unterlegt von süßlichen Synthesizern, die fast schon an die Pop-Momente der Alternative-Progger Biffy Clyro erinnern, werfen die Frage auf, ob es in der Welt von "The persistence" nicht zu früh ist für ein Happy End – laut barockschen Kompositionsprinzipien folgt selbst auf tragische Stücke doch der auflösende Dur-Dreiklang. "Forget what you think you have done before", beschwichtigt Sänger Diego Marchesi und erklärt damit auch den viertaktigen Wechsel der Tongeschlechter – ein Motiv, das sinnstiftend für das komplette Album sein wird.

Nach dieser hymnischen Einleitung folgt unweigerlich der Abstieg, es beginnt die Tragödie. Glücklicherweise nur innerhalb der Musik, denn das Sextett aus Rom schafft es auch weiterhin, das Niveau absurd hoch zu halten. Für eine Progressive-Band extrem eingängig, aber mit abwechslungsreichen Ausflügen in die Polyrhythmik, harmonischen Spielereien, weiten Spannungsbögen und einigen Hard-Rock-Anleihen. Die ganz tiefen Abgründe erinnern in ihrer schweren Melancholie an den Doom-Metal von Pallbearer, ansonsten orientieren sich Kingcrow eindeutig an klassischem Heavy Metal und den modernen Klanggebilden eines Steven Wilson, getragen von 80s-Synthesizern, digitalen Delays und glasklaren Akustik-Gitarren. Diese Eingängigkeit von stellenweise gar barockscher Ordnung befindet sich stets kurz vor dem Kippen ins Kitschige, rettet sich aber zum Glück immer in epische Halftime-Hymnen, die sich zu den proggigen Gitarrenriffs zwischen Porcupine Tree und Leprous gesellen.

Bevor die Reise in "Perfectly imperfect" mit einem versöhnlichen Fade-Out zu Ende geht, wechselt noch fast jeder Song früher oder später zwischen nihilistischem Moll und hoffnungsvollem Dur hin und her – so ganz wissen Kingcrow also vielleicht selbst nicht, ob sie als Genre-Vertreter in die übergroßen Fußstapfen der alten Meister des Barock treten wollen. Müssen sie aber auch gar nicht, denn "The persistence" schafft es auch so, angenehm unaufdringlich musikalische Konzepte durchzuspielen, ohne in Klischees zu verfallen und dennoch eine schlüssige Geschichte zu erzählen. Denn zum Glück hat sich in den letzten 250 Jahren Musikgeschichte ja auch einiges getan.

(Julius Krämer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Drenched
  • Folding paper dreams
  • The persistence

Tracklist

  1. Drenched
  2. Closer
  3. Everything goes
  4. Folding paper dreams
  5. The persistence
  6. Every broken piece of me
  7. Devil’s got a picture
  8. Night’s descending
  9. Father
  10. Perfectly imperfect
Gesamtspielzeit: 55:37 min

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Armin

2018-10-04 21:28:23- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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