Escape-ism - The lost record
Merge / CargoVÖ: 07.09.2018
Geschüttelt, ungerührt
Arme Schallplatten. Oft lagert ihr Besitzer sie in der prallen Sonne, isst Spiegelei mit Toast auf ihnen, und irgendwann fliegen sie in die hinterste Ecke, um beim nächsten Ausmisten in einen Container zu wandern, wo ihnen kein Online-Auktionshaus der Welt mehr helfen kann. Auch dem Exemplar, das "The lost record" den Titel gibt, erging es nicht besser: von der Plattenfirma in den polyvinylchloriden Allerwertesten getreten, von mobil Spotify hörenden Passanten missachtet und nun auf der Suche nach einem warmen Zuhause mit kuscheliger Slipmat. Ein Außenseiter ganz nach dem Geschmack des Post-Hardcore-Säulenheiligen Ian Svenonius, der mit Nation Of Ulysses, The Make-Up oder Weird War stets umstürzlerischen Agitprop vor sich herkickte und nunmehr als Escape-ism verkrachte Existenzen verhandelt. Und wenn es nur die eigene ist.
Wie immer präsentiert sich der Mann aus Washington, D.C. dazu in feinstem Zwirn – schließlich sei ihr Outfit das Einzige, über das die, na ja, junge Generation heutzutage noch wirklich frei entscheiden dürfe. Sozusagen die Personalunion aus Henry Rollins, Jon Spencer und Karl Lagerfeld, die ihr neuestes Projekt zu allem Überfluss nach einem James-Brown-Song benannt hat und sich dabei sämtliche musikalische Breitseiten und Rüpeleien spart: Wie schon das 2017er Debüt "Introduction to Escape-ism" schüttelt auch "The lost record" seine Knochen zum hagersten, minimalistischsten Rock'n'Roll, den man sich vorstellen kann. Svenonius braucht dafür nicht viel mehr als skelettierte elektronische Beats, eine Gitarre mit akutem Saitenstechen und Vocals zwischen scharfsinnigem Gecroone und delirierenden Eruptionen – sowie jede Menge schmierige Geschichten.
Gegen diese nimmt sich sogar das Vinylplatten-Schicksal des Openers fast putzig aus, wenn sich Svenonius im wunderbar penetrant fiependen und knurrenden "Bodysnatcher" vom Vamp seiner Wahl mit Haut und Haaren verspeisen lässt oder aber sein Gegenüber aus Spaß an der Freude selbst in Grund und Boden stampft. Johnny Cash hätte gesagt "I shot a man in Reno just to watch him die" – hier reicht es gerade mal für ein schulterzuckendes "Nothing personal". Und während ungerührt die Rhythmusmaschine pocht und weit aufgedrehter Fuzz das Stück in seine Einzelteile zerlegt, wird allmählich klar: Wenn er könnte, würde Svenonius auf der Stelle Suicide und The Stooges zusammen ins Studio zerren und Iggy Pop bezeiten durch Lux Interior von den Cramps ersetzen. Da nahezu alle Erwähnten aber nicht mehr am Leben sind, gilt: Alles muss man selber machen.
Und Svenonius macht seine Sache ausgesprochen gut. Ob er nun im lasziv aus der Farfisa-Orgel schlürfenden "I'm a lover (at close range)" den weiblichen Teil des Publikums lüstern zum Näherkommen auffordert oder der schillernde Elektro-Boogie "Exorcist stairs" geräuschvoll das Spukhaus des No Wave emporsteigt. Mit "Rome wasn't burnt in a day" kommt gegen Ende auch der Song zu neuerlichen Ehren, an dem sich Svenonius seit mehreren Veröffentlichungen abarbeitet – samt aller bekannter Versatzstücke aus Proto-Punk, Früh-Industrial und von "I wanna be your dog" stibitzter Pianofigur. Nur einer von zwölf Gründen, warum man dieses großartig spröde Album pfleglich behandeln sollte. Andernfalls könnte nämlich bald ein gut gekleideter Herr auf der Matte stehen und doch noch den Rüpel rauslassen. Und das ist dann ganz sicher persönlich gemeint.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The lost record
- Bodysnatcher
- Exorcist stairs
- Rome wasn't burnt in a day
Tracklist
- The lost record
- Nothing personal
- I'm a lover (at close range)
- (I'm gonna) bite the hand that feeds
- Bodysnatcher
- The feeling's mutual
- I don't know where these words have been
- Exorcist stairs
- You darken my night
- Alphabet's gotta be changed
- Rome wasnt burnt in a day
- What sign (was Frankenstein?)
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Armin
2018-09-26 20:23:53- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Escape-ism - The lost record (1 Beiträge / Letzter am 26.09.2018 - 20:23 Uhr)