Cat Power - Wanderer

Domino / GoodToGo
VÖ: 05.10.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Besser als Adele

Sie hat es schon wieder getan: Entdeckte Chan Marshall alias Cat Power zuletzt auf "The greatest" den Soul und auf "Sun" den Synthie-Pop für sich, präsentiert sich "Wanderer" erneut als Richtungsänderung. Betrachtet man den Albumtitel, scheint sich die Amerikanerin ihrer eigenen Rastlosigkeit durchaus bewusst zu sein, doch zum ersten Mal führt ihr Weg nicht unbeirrt ins große Unbekannte, sondern nimmt sie stattdessen ein paar Schritte zurück. "Wanderer" ist eine Rückbesinnung auf Marshalls allerzerbrechlichste Singer-Songwriter-Tage und ihr intimstes und ruhigstes Album bisher. Mit mehr als Gitarre, Piano und Stimme kommt es die meiste Zeit über nicht aus, und so bildet es das nächste Zeugnis der Selbstbestimmung einer Künstlerin, die noch nie für sonderliche Kompromisse bekannt war. Da wird der das Cover zierende Sohnemann in ein paar Jahren sicherlich stolz zurückblicken dürfen, denn immerhin ist er jetzt fest in der Geschichte moderner amerikanischer Indie-Musik verewigt.

Trotz der Geburt besagten Rackers ist der Hintergrund von "Wanderer" kein durchweg positiver. Marshalls (mittlerweile Ex-) Label Matador wollte das fertige Album nicht, empfand es als nicht gut genug und wollte aus Marshall stattdessen die nächste Adele machen. So erscheint es als nicht sehr weit hergeholt, "Woman" als Mittelfinger in Richtung der Verantwortlichen zu deuten, ist der Song auch der einzige, der nach der Trennung von Matador entstanden ist: "If I had a dime for every time / You tell me I'm not what you need / If I had a quarter, I would pull it together / And I would take it to the bank and then leave." Zunächst mit warmen Orgel- und Cello-Tönen beginnend, zieht der Track im Refrain mit dezenter Unterstützung von Lana Del Rey das Tempo an, bildet damit nicht nur einen stilistischen Ausreißer, sondern vermittelt seine Botschaft auch umso eindrücklicher: "Seht her, Matador, ich kann immer noch Hits, wenn ich Bock drauf hab – aber nicht mehr für Euch."

Der Rest des Albums nimmt sich bedeutend mehr zurück, gerät dadurch aber nur noch intensiver und mindestens genauso spannend. Nach einem kurzen, ätherischen Intro baut sich "In your face" als Lounge-Jazz-Nummer mit zartem Piano und kaum hörbarer Percussion auf – mit seiner Kombination aus unglaublich einnehmendem Gesang, grandioser Melodieführung und Amerika-Kritik ist es nicht weniger als einer von Marshalls besten Songs überhaupt. "You get" zeigt sich völlig unbeeindruckt von dieser Messlatte, die 46-Jährige inszeniert das minimalistische, mit treibenden Drums pulsierende Blues-Pop-Stück, als wäre es aus dem Ärmel geschüttelt. In "Stay" zeigt Marshall indes mal wieder ihr Talent als freigeistige Interpretin fremder Songs, indem sie Rihannas Klavierballade aufs Allernötigste reduziert. Ihr schmerzerfüllter Vortrag offenbart eine niederschmetternde, tief unter die Haut gehende Qualität, die der Charts-Gestus des Originals nur erahnen ließ.

"Stay" leitet auch eine zweite Hälfte ein, die noch spärlicher und zurückhaltender daherkommt als die erste. Hier erzählt eine Frau nur noch von ganz verknappten Arrangements begleitet von ihren Dämonen oder finanzieller wie mentaler Instabilität, doch auch hier sitzen jeder Ton und jede einzelne Zeile. In "Me voy" findet das Album schließlich seinen emotionalen Höhepunkt, "I am leaving", konstatiert Marshall hier, während der Song schon längst in den Himmel emporgestiegen ist und sich die Abschiedstränen kaum noch unterdrücken lassen. Bei aller Wertschätzung ist es sicher keine Adele, mit der sich Cat Power messen lassen muss, sie nimmt nach wie vor ganz mühelos Platz neben den größten kontemporären Songwriterinnen wie Fiona Apple, PJ Harvey oder Tori Amos. Sie hat sicherlich schon lautere und mehr Aufmerksamkeit beanspruchende Musik als auf "Wanderer" gemacht, doch noch nie hat sie ihr Innerstes so konsequent und direkt nach außen gekehrt. So profiliert sich Marshall auch mit ihrem zehnten Studioalbum noch immer als ganz eigener Kopf – für gewisse Exekutive der Kulturindustrie sogar etwas zu eigen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • In your face
  • You get
  • Stay
  • Me voy

Tracklist

  1. Wanderer
  2. In your face
  3. You get
  4. Woman (feat. Lana Del Rey)
  5. Horizon
  6. Stay
  7. Black
  8. Robbin hood
  9. Nothing really matters
  10. Me voy
  11. Wanderer / Exit
Gesamtspielzeit: 37:57 min

Im Forum kommentieren

Armin

2019-05-22 19:27:21- Newsbeitrag

CAT POWER

Die wunderbare Chan Marshall alias Cat Power veröffentlicht anläßlich des US Tour Starts ein neues Video zu Horizon, einem Track aus ihrem aktuellen, hochgelobten Album Wanderer. Wie schon bei allen anderen Videos zum Album hatte auch bei diesem Greg Hunter wieder den Hut auf. Er setzte einfühlsam einige von Marshalls engsten Freunden und Bezugspersonen in Szene.

Wir nehmen das Video zum Anlaß um noch einmal gesondert auf die im Juli anstehenden Tourdaten in Köln, München und Lörrach (s.u.) hinzuweisen.



Album: Wanderer
Video: Horizon

Cat Power
(Booking: Schoneberg)
09.07.2019 Köln, Live Music Hall
15.07.2019 München, Backstage/Werk
16.07.2019 Lörrach , Stimmenfestival

kingsuede

2018-10-28 12:50:33

Mag bei ihr die Sachen auch lieber, die etwas uplifting sind, insofern passt das hier schon. Bin momentan bei einer soliden 8/10.

MopedTobias (Marvin)

2018-10-08 16:37:57

Hätte vielleicht dazu sagen sollen, dass wir hier wirklich nur von Nuancen reden, ab Moon Pix würd ich jedem ihrer Alben mindestens ne fette 8 geben. Community ist da auch nicht weit von weg, Myra hat, wie du schon sagst, auch ihre Momente. Einzig das Debüt find ich unterm Strich nur okay.

2plus2gleich5

2018-10-08 14:31:38

Hm, da scheinen wir ihre Diskographie etwas unterschiedlich zu bewerten. So sehr ich The Greatest schätze, bei mir wäre sie wohl eher auf Platz drei. Vorne Moon Pix - immer noch ein unfassbar eindringliches Album und eine klare 10/10 - dann You Are Free, dann The Greatest etwa gleichauf mit What Would The Community Think?. Wobei die drei hinter Moon Pix schon alle nah beieinander sind. Myra Lee hat auch schon tolle Momente. Wanderer muss ich noch hören.

Aber spannend an der Entwicklung ihrer Musik ist ja auch gerade, wie sie die intimen, versehrten Indie-Songs der Frühphase Stück für Stück rückbindet an traditionelle Strömungen des amerikanischen Südens (Delta Blues, Memphis Soul).

MopedTobias (Marvin)

2018-10-07 17:16:37

An Sun kommts für mich nicht ran, das war zwar nicht so tiefgehend, aber musikalisch fand ichs phänomenal. Aber dahinter die Nummer zwei zusammen mit The Greatest, warum nicht.

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