Element Of Crime - Schafe, Monster und Mäuse
Vertigo / UniversalVÖ: 05.10.2018
Liebe in Zeiten des Rauchverbots
Kurfürstendamm? Check! Prenzlauer Berg? Check! Friedrichshain? Haben wir auch! Man will dieser so famosen Großstadtband Element Of Crime sicher nicht zu nahe treten, aber das textliche Abarbeiten der Touri-Hotspots auf dem neuen Album "Schafe, Monster und Mäuse" wirkt schon ein wenig wie eine Geste der Anbiederung an die oberflächliche Sightseeing-Kultur. Unbenommen bleibt jedoch die urige Finesse der Kneipen-Conaisseure um Sven Regener. Das bluesig verträumte "Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang" schlendert durch die Metropole und Regeners Trompete entschwebt zum verregneten Himmel. Alles heimelig wie immer, aber irgendwie scheint die ins Auge gefasste Zielgruppe größer geworden zu sein.
Diese kann, wenn sie schon mal mit im Boot sitzt, so manches kleine Kunststück miterleben: die feine Zwiesprache zwischen Akkordeon und Mundharmonika im osteuropäisch angehauchten Titeltrack zum Beispiel. Und das Kaschemmen-Feeling aus gerauchten Zigaretten und klebrigen Bierrändern auf Eichenfurnier ist so intakt wie eh und je. Bei Element Of Crime darf der Straßenbahnschaffner in der Eckkneipe seine Bockwurst verdrücken, während am Nachbartisch die Vollzeitphilosophen über das "Ding an sich" debattieren. Die mit Country-Twang ausgestattete Lebensmittelaufzählung und Nachbarnschelte "Ein Brot und eine Tüte" versetzt mit ordentlich Biss die Glieder hüftsteifer Frühpensionäre in Bewegung und man weiß: "Grausam ist das Leben als der einzige vernünftig denkend eingestellte Mensch." Dazu Bläser, bitte
Das Publikum changiert zwischen intellektueller Elite und denjenigen, die aufs Rauchverbot scheißen. Und man ist international: Durch "Bevor ich dich traf" schwadet ein Hauch von Tango und bei der Vermengung verschiedenster Kulturen gehen Element Of Crime in "Immer noch Liebe in mir" noch einen Schritt weiter. Da kommt eine Mariachi-Truppe aus der Seitenstraße, unterwandert von einigen Fußplattlern, die auch noch gehörig Bock auf kölschen Karneval haben – au weia! Aber so ist Berlin: Alles kann passieren. Im ernsten Metier ist "Gewitter" zu Hause, die schmerzhafte Vermählung von Ost und West, "und bitter schmeckt der Rauch". Dies sind dann die Momente, in denen Element Of Crime wie keine zweite Band textlich in die Tiefe gehen, ein Gespür für die Befindlichkeiten ihrer Heimat entwickeln, diese abbilden und dazu wunderbar Geigen, Glockenspiel und andere tolle Dinge auffahren.
Da verzeiht man auch das zwanghaft schunkelnde "Die Party am Schlesischen Tor" oder die arg formelhafte Westernmoritat "Stein, Schere, Papier", wobei der Vorschlag erlaubt sein möge: Ein wenig frischer Wind, bitte. Das Altbekannte weiß aber an mehr als genug Stellen immer noch zu glänzen. Das lustige "Karin, Karin" mit Scherzkeks-Fiedel und Plingergitarre macht ein Angebot, das man schwerlich ablehnen will: "Hast Du irgendwo Land gesehen / Oder willst Du mit mir untergehen?". Jederzeit, liebe Element Of Crime, besonders dann, wenn Ihr Eure Stärken so schön zusammenfasst wie im abschließenden "Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin". All den schönen, unangepassten Humor, der sich gerne mal ein spießbürgerliches Kleid anzieht und eine Musik, die wohlwollend zum Versumpfen und zielfernen Sinnieren einlädt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ein Brot und eine Tüte
- Gewitter
- Bevor es dunkel und kalt wird in Berlin
Tracklist
- Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang
- Schafe, Monster und Mäuse
- Ein Brot und eine Tüte
- Bevor ich Dich traf
- Immer noch Liebe in mir
- Gewitter
- Die Party am Schlesischen Tor
- Stein, Schere, Papier
- Im Prinzenbad allein
- Karin, Karin
- Nimm Dir, was Du willst
- Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin
Im Forum kommentieren
Hogi
2019-10-29 17:17:47
Für mich hatten sie einen perfekten Lauf von damals hinterm Mond bis zur etwas sperrigeren aber interessanten Psycho. Danach haben Sie ihre Formel nur noch wiederholt und wurden etwas beliebig und manchmal.auch etwas altbacken. Das letzte Album war wieder etwas besser, aber weiter kein Vergleich zu früher.
Mayakhedive
2019-10-29 16:59:49
Hab jetzt die ersten 4 Stücke plus oben angesprochenes "4 Stunden vor Elbe 1" von der "Damals hinterm Mond" gehört und muss sagen, das trifft gerade wirklich genau meinen Nerv.
Atmosphäre zum schneiden, die Instrumente alle schön herauszuhören und der Gesang ist zum Niederknien.
Das Album und den Nachfolger hab ich direkt mal geordert.
Danke an alle, die den Thread oben gehalten und mir die Band so in Erinnerung gerufen haben.
musie
2019-10-29 16:30:14
davor und danach grossartige Lieder, aber als Album gefällt mir halt doch Weisses Papier am besten.
VelvetCell
2019-10-29 15:44:24
Mein "echter" Einstieg war "Mittelpunkt der Welt". Vorher kannte ich nur einzelne Songs, aber die Platte hat mich vollends überzeugt. Auch empfehlenswert: "Romantik" oder eben die aktuelle.
Mayakhedive
2019-10-29 14:42:26
Ich bin kein Spotifier und die die englische Phase würde ich wohl auslassen.
Mir ist noch im Geächtnis, dass damals nur deutsch gesungen wurde und ich die Texte ziemlich gut fand.
Werd dann heut abend mal hinterm Mond reinhören.
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