Delgres - Mo jodi

Jazz Village / PIAS / Rough Trade
VÖ: 31.08.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Echt unwirklich

Als der Blues in den 50er-Jahren aus der Mitte der afroamerikanischen Bevölkerung auch in die weiße Bürgerschaft wanderte, war das noch lange kein endgültiger Ausweg aus rassistisch motivierter Stereotypisierung, aber immerhin ein erster Schritt in einen globalisierten Dialog. Über ein halbes Jahrhundert später scheint es, als müssten Delgres diesen fortführen. Nicht nur, weil Rassismus in der aktuellen Weltlage als Bedrohung immer mehr in die gesellschaftliche Mitte rückt, sondern auch, weil nach über 60 Jahren musikalischer Evolution eigentlich kaum noch jemand weiß, woher der Blues kam und welche Ideale er einst in sich trug.

Delgres nähern sich dieser Mission klugerweise rückwärts. "Respecté nou", der Opener ihrer neuen Platte "Mo jodi", spielt die Ideale und Prinzipien des globalisierten Blues in Vollkommenheit. Das Trio interpretiert seine musikalischen Wurzeln dabei mit äußerst scharfer Kante. Das Instrumentarium klirrt isoliert im trockenen Raumklang, das Schlagzeug ist so differenziert produziert, dass sich der Rhythmus förmlich wie auf den eigenen Trommelfellen geklopft anfühlt. Das finalisierende Gitarrensolo fügt sich da in feinster Garage-Rock'n'Roll-Manier ein und betritt mit seinem knarrenden Timbre beinahe Desert-Rock-Gefilde.

In der Folge wagen sich Delgres immer wieder von jener verwestlichten Soundkonstruktion weg und stoßen in zunehmend folkloristisch-abtrünnige Pfade vor. "Mr président" etwa sucht über seinem martialischen Ein-Ton-Beat arabisch-mikrotonal anmutende Gesangslinien, die in einem klagenden Handclap-Groove austendeln. "Anko" baut auf eingespielte Protestrufe einen luftig-leichten Blues-Jam, der dezenten Pop-Appeal verbreitet und sich dabei in beinahe Gospel-getriebener Leichtigkeit verliert. "Vivre sur la route" findet in Banjo und weicher Bläser-Untermalung die Mitte zwischen Americana und karibischer Volksmusik. Delgres führen hier Konversationen zwischen US-amerikanischer Musikkultur und ihren eigenen Wurzeln, bauen klangliche Brücken und schaffen so in der künstlerischen Auseinandersetzung eine Einigkeit, die uns im Blick auf die reale Welt immer mehr zu entgleiten scheint.

Das krönende Finale von "Mo jodi" heißt "Pardoné mwen" und könnte nicht besser gewählt sein. Auf einem zunächst minimalistischen Mantra aus Synth-Drums, weichen Gitarren und perkussivem Sousaphon schichten Delgres immer weitere Ebenen auf, verleihen dem Klang einer wunderschönen Ballade immer mehr Tiefe und konterkarieren all das schließlich mit einem unheimlich warmen Jazz-Trompeten-Solo. Die surreale Reprise folgt sogleich: Delgres verlangsamen das eben Gehörte noch einmal ins Groteske und verschwimmen dieses sinnhafte Erlebnis mit hallenden Klangfiltern zu den letzten Augenblicken vor dem Erwachen aus einem wohligen Traum. Das Resümee ihrer Platte verfasst die Band damit treffend selbst: Diese Musik ist unwirklich, aber die zwölf Songs von "Mo jodi" zeigen, wie echt sie eigentlich sein sollte.

(Jakob Uhlig)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Pardoné mwen

Tracklist

  1. Respecté nou
  2. Mo jodi
  3. The promise
  4. Mr président
  5. Vivre sur la route
  6. Séré mwen pli fo
  7. Can`t let you go
  8. Ti mamzel
  9. Anko
  10. Ramené mwen
  11. Chak jou bon dié fiè
  12. Pardoné mwen
Gesamtspielzeit: 44:28 min

Im Forum kommentieren

diggo

2018-09-23 13:29:49

kreolischer blues - wie geil ist das denn? ganz gsnz starkes album! danke dafür, dass so was hier besprochen wird. hätt ich sonst wohl nie entdeckt!

Armin

2018-09-19 20:46:53- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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