Voivod - The wake

Century Media / Sony
VÖ: 21.09.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Größenwahnsinn

Der Tod eines Mitglieds kann eine Band nachhaltig in ihren Grundfesten erschüttern. Manche, wie AC/DC oder Metallica, kehren zurück und widmen all ihre Kraft ihrem verstorbenen Kollegen. Für andere wiederum bedeutet es das faktische Aus – bestes Beispiel dafür sind Queen, die nach dem Tod ihres so charismatischen Frontmanns den Punkt verpasst haben, würdevoll von der Bildfläche zu verschwinden. Auch Voivod mussten dieses Schicksal erleiden, als 2005 ihr Gitarrist Denis D'Amour an Krebs verstarb. Erst als nach zwei eher orientierungslosen Alben das letzte Riff-Fragment aus dem Archiv des so einflussreichen Songschreibers benutzt war, lernten die Frankokanadier 2013 mit "Target Earth", auf eigenen Füßen zu stehen. Und es brauchte weitere zwei Jahre, bis mit der EP "Post society" Voivod endlich wieder dort ankamen, wo sie schon einmal waren. Nämlich auf dem Olymp der ganz großen Visionäre, die von zahlreichen Bands wie Meshuggah oder unüberhörbar von Gojira als wesentliche Einflüsse genannt werden.

Dabei beginnt die Platte mit "Obsolete beings" zunächst erstaunlich eingängig, weit von so mancher Krachorgie früherer Jahre entfernt. Wobei die Brillanz hier im Detail liegt, beispielhaft an den wahnwitzigen Drumfiguren zu erkennen, die vordergründig so gar nicht zum geradeaus rockenden Song passen wollen. Bis plötzlich rüde die Bremse getreten wird und Frontmann Denis Bélanger im Stile eines Barjazz-Sängers fragt: "Is there some use for mankind?" Plötzlich wird die Dystopie der Hintergrundstory überdeutlich, militärisch marschierende Drums wechseln bei "The end of dormancy" mit wild flirrenden Gitarrenfiguren, dazu deklamiert Bélanger mehr, als dass er singt. Ein irrwitziger Spannungsbogen baut sich auf, der erst im folgenden Headbanger "Orb confusion" gelöst wird. So man denn zu diesen verrückten Takten headbangen kann und nicht staunend unter dem Kopfhörer diesen großartigen Musikern folgt.

Nun ist es so: Wahnsinn können viele. Das Großartige an Voivod im allgemeinen und dieser Platte im Speziellen ist allerdings die Kontrolle des Wahnsinns, die Kanalisierung dieses Ideenüberflusses. Völlig selbstverständlich taucht zwischen den galoppierenden Thrash-Riffs von "Inconspiracy" eine Streichersektion auf, ebenso stimmig im übrigen wie die wilden Takt- und Tonartwechsel von "Spherical perspective", das wie selbstverständlich mit Polyrhythmiken und vordergründig nicht zur Musik passenden Gesangsmelodien spielt. Und wer sich dann so richtig das Hirn verrenken möchte, der ist herzlich dazu eingeladen, den geistesgestörten Takt von "Always moving" einmal auszuzählen. Ach ja, und wer den 15/4-Takt dann auch ohne Knoten in den dazu erforderlichen Gliedmaßen trommeln kann, darf sich wohl hoch offiziell in die Spitzengruppe der Schlagzeuger aufgenommen fühlen.

Und dann ist da noch der Song, der auf zwölf Minuten die Essenz des Sound von Voivod darstellt. "Sonic mycelium" ist zunächst einmal ein idealtypisches Grande Finale, gespickt mit Reprisen der vorigen Songs, wie um die Storyfäden noch einmal zusammenzuführen und zu einem glorreichen Ende zu bringen. Gleichzeitig jedoch zitieren Voivod ein ums andere Mal ihre eigene Vergangenheit, von den wütenden Punk-Eruptionen von "Dimension hatröss" bis zum überschäumenden Ideenfluss von "Negatron". Eine wahre Hetzjagd durch die Entwicklungsphasen der Band, ein Ritt durch die Vielzahl musikalischer Einflüsse. Wenn man versuchen will, das Phänomen Voivod zu verstehen, dann reicht im Grunde dieser eine Song. In Dauerschleife wohlgemerkt, denn es ist geradezu unmöglich, diese musikalische Orgie im ersten Durchlauf zu erfassen. Erst die nochmals auftretenden Streicher am Ende, mit denen dieser Wirbelsturm von Platte langsam ausläuft, lassen den kurz vor der Überforderung stehenden Hörer durchatmen. Zur Besinnung kommen. Und langsam begreifen, wie groß die Kanadier 34 Jahre nach ihrem Debüt und 13 Jahre nach der großen Zäsur wieder sind.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Obsolete beings
  • Orb confusion
  • Always moving
  • Sonic mycelium

Tracklist

  1. Obsolete beings
  2. The end of dormancy
  3. Orb confusion
  4. Inconspiracy
  5. Spherical perspective
  6. Event horizon
  7. Always moving
  8. Sonic mycelium
Gesamtspielzeit: 56:00 min

Im Forum kommentieren

Marküs

2022-02-11 18:11:11

Nothingface war richtig geil und (Mindermeinung!) Negatron Mitte der Neunziger mit dem wilden Geschrei fand ich auch sauber. Target Earth lief mir obwohl neueren Datums auch sehr gut rein. Liebe Ahnung warum The wake dann wieder überhaupt nicht

ZoranTosic

2022-02-11 16:18:25

Tatsächlich? Ich fand die ziemlich gut. Welche Phase bevorzugst Du?

Ich fand von 87 bis Mitte der 90er haben die nur grosse Alben rausgebracht. Mit der Zeit kann The Wake nicht konkurrieren - aber immer noch spannend genug (vielleicht auch wegen der teilweisen Sperrigkeit) um immer mal wieder aufgelegt zu werden.



Marküs

2022-02-11 15:37:46

Die neue Platte werde ich mir tatsächlich nicht zulegen. The wake hat mich - trotz anderslautender Kritiken seinerzeit - nie abgeholt. Sperriger geht's nimmer. Einfach nicht mein Ding

ZoranTosic

2022-02-10 10:38:17

Läuft hier gerade mal wieder (als Vorbereitung auf das neue Album)!

Schon sehr stark - nicht ganz so gut, wie die alten Klassiker - aber das kann man wahrscheinlich auch nicht erwarten

Marküs

2018-10-01 08:57:10

Das Album ist wunderbar gespielt und beheimatet einige gute Ideen, emotional reißt mich da aber gar nichts mit. An manchen Stellen ist es auch schlicht langweilig. Tendenziell wie so viele Alben auch zu lang.

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