Jungle - For ever
XL / Beggars / IndigoVÖ: 14.09.2018
Funkstörungen
Ein wenig ernüchternd ist es ja schon: Noch bevor Jungle mit ihrem selbstbetiteltem "Debüt" zum heißesten Scheiß der britischen Funk-Szene deklariert wurden, sorgten sie bereits mit ein paar halsbrecherisch choreographierten Musikvideos für Aufsehen. Doch vier Jahre später scheint plötzlich Schluss zu sein mit sechsjährigen Breakdancerinnen und wilden Rollschuh-Performances: Im Video zu "Happy man" lümmelt die siebenköpfige Band lethargisch in ihrem Proberaum rum, "House in LA" ändert zwar die Location ins sonnendurchflutete Kalifornien, doch gibt sich – mit Ausnahme von Tänzerin Nat Zangi – ähnlich unbeweglich. Haben Jungle ihre womöglich größte Gabe verloren, selbst den schlimmsten Tanzmuffel innerhalb weniger Takte in Tony Manero zu verwandeln? "For ever" entgegnet zwar ein klares "Nein!", etwas mehr musikalische Statik lässt sich hier allerdings auch nicht leugnen.
Eine solche ist vielleicht auch nur logische Konsequenz dessen, dass der Zweitling mit merklich mehr Fleisch als sein Vorgänger aufwarten kann. Bislang waren Jungle ein körperloses Konstrukt, erdacht von den Londoner Kindheitsfreunden Josh Lloyd-Watson und Tom McFarland. Doch "For ever" verankert sich mehr in der Gefühls- und Erfahrungswelt echter Menschen und lässt Lloyd-Watson über seine Trennung, Heimweh und die falschen Versprechungen des Amerikanischen Traums reflektieren. Zugegeben, "Happy man" hört man das nicht direkt an, steht der Song ganz in der Tradition von "The heat" und Co.: eine entspannt groovende Synth-Funk-Nummer mit dem charakteristischen Bandsound zwischen Soul, Indie-Disco und Electronica. Erst wenn man sich zwischen Kopfnicken und Fußwippen zum bewussten Hinhören zwingt, macht sich die Desillusion breit: "Buy yourself a dream and it won't mean nothing."
Weil aber natürlich kein Mensch auf der Welt ein Downer-Album von Jungle braucht, haben sich die Briten richtigerweise dazu entschieden, im Grunde nicht viel anders als zuvor zu machen. "For ever" ist wieder ein Genres und Jahrzehnte überspannender Spaß, der mit den Marvin-Gaye-Streichern von "Beat 54 (All good now)" und den Disco-Gitarren von "Heavy, California" irgendwann in den frühen Siebzigern anfängt und recht flott in der Gegenwart ankommt. Das Septett zelebriert modernen britischen Soul im Geiste eines Jamie Woon in "Cherry" oder "Give over" genauso stilsicher und selbstbewusst wie seine Retrospektiven und hat ganz für den Schluss auch noch seinen wohl ambitioniertesten Song überhaupt parat: "Pray" wirft so ziemlich alles in den Topf, was die Band je angefasst hat, formt sich mit Gospel-Anleihen, funkigem Bass und scheppernder Percussion zu einem streicherlastigen Britpop-Epos, das erstaunlicherweise voll ins Schwarze trifft.
Das grundsätzliche Problem von "For ever" ist dementsprechend auch nicht, dass es etwas unbeweglicher als sein Vorgänger daherkommt. Auch die ruhigeren Momente sind detailreich und spannend arrangiert, gerade eingangs erwähntes "House in LA" ist eine über aufwändigen Synthie-Flächen schwebende Psychedelic-Ballade mit herausragender Dynamik. Das Album schleppt nur leider ein paar alte Makel wie die Gleichförmigkeit des etwas hölzernen Dauer-Falsetts weiter mit sich herum, ohne hier die durchgängige Songqualität liefern zu können, die diese überdeckt. Somit schaffen es Jungle weder, ihre neue inhaltliche Tiefe musikalisch gescheit abzubilden, noch die Hitdichte ihres Debüts zu wiederholen – ersteres haben sie zwar auch gar nicht erst versucht, für letzteres lassen sich aber nicht so einfach Ausreden finden. Die Enttäuschung über die dieses Mal im Schrank verstaubenden Rollschuhe war offenbar mehr als nur eine Ahnung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Happy man
- House in LA
- Pray
Tracklist
- Smile
- Heavy, California
- Beat 54 (All good now)
- Cherry
- Happy man
- Casio
- Mama oh no
- House in LA
- Give over
- Cosurmyne
- Home
- (More and more) It ain't easy
- Pray
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tjsifi
2018-09-19 14:22:15
@Nun
Danke für den Tip! Gefällt mir sehr gut!
Nun
2018-09-19 11:24:21
@tjsfi
Hör mal in die zweite Glass Animals rein.
Ist zwar dezent was anderes macht aber furchtbar gute Laune.
tjsifi
2018-09-19 11:17:05
Leider ziemlich langweilig. Habe das Debut eine Weile lang hoch und runter gehört und hatte mich sehr auf das neue Album speziell nach so langer Zeit gefreut. Schade!
cline
2018-09-19 09:21:31
Ich rege mich über jede Kleinigkeit auf, und finde Rassismus selbst da, wo keiner ist.
Ich bin ein Social-Justice-Warrior aus dem Jahre 2018!
kapomuk
2018-09-19 09:12:21
Wüsste nicht, dass die farbliche Kennzeichnung von Zielscheiben sich geändert hätte – und darum geht’s ja bei der Metapher, im Sinne von „weiß – daneben“ und „schwarz – genau richtig“. Finde ich gut!
Die Mucke finde ich eher langweilig …
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