Spiritualized - And nothing hurt

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 07.09.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

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Es war der 2. Juni 2018, als die Space-Rocker von Spiritualized plötzlich alle Einträge auf ihren Social-Media-Kanälen löschten und lediglich ein einziges Posting als Erklärung zurückließen: ein Video mit einem weißen Morse-Code vor einem knallorangenen Hintergrund. Die Übersetzung? "A perfect miracle." Sechs Jahre waren da seit "Sweet heart, sweet light" vergangen, dem bislang letzten Lebenszeichen von Jason Pierce alias J. Spaceman und dessen Kollegen. Nur wenige Tage kündigten die Briten ihr nunmehr achtes Studioalbum "And nothing hurt" an, zur Überbrückung der Wartezeit gab es gleich zwei neue Songs obendrauf. Man kann es gar nicht anders sagen: Manchmal passieren eben doch noch Wunder, und auch etwas mehr als 20 Jahre nach dem wohl ewigen Spiritualized-Meisterwerk "Ladies and gentlemen we are floating in space" von 1997 ist Pierce noch für die eine oder andere ans Herz gehende Überraschung gut.

Denn "A perfect miracle", eine der beiden ersten Singles und gleichzeitig Opener von "And nothing hurt", ist fast schon emotionaler Missbrauch am Hörer – danach tut wahrlich alles weh. Mit sanfter Gitarren-Untermalung beginnt das Stück, Pierce säuselt mit Erzählstimme los: "I'd like to sit around and dream you up a perfect miracle / I'd part the clouds and have the sun proudly shining on you / I'd take the stars as well and line them up to spell 'Darling, I love you' / And little by little watch it all come true." Zeile für Zeile breitet er seine Gefühle aus, singt von Vögeln, denen er seine liebsten Liebeslieder beibringt, damit sie diese in die Welt hinaussingen, vom Wind, der seine Küsse weitertragen soll, von schönen Tag-Träumen, von der gemeinsamen Zukunft im Eigenheim. Und dann: "Darling, you know / I'm sorry / I won't get to see you this spring / My phone has been broke and I thought that we'd spoke / I don't think it's working out anyway."

Das eben noch schnell klopfende Herz zerspringt in tausend Teile, während Pierce hektisch zurückrudert, zwei Gesangsspuren nebeneinanderlegt, sie singen gegeneinander an, der Himmel kotzt sämtliche Geigen wieder aus, sie spielen das gefühlt lauteste Kammerstück aller Zeiten, die Liebe kämpft gegen ihren schlimmsten Feind – nicht den Hass. Sondern die Gleichgültigkeit. Hat er es also wieder geschafft, dieser verflixte Hund. Nichts ist sicher bei Spiritualized, lediglich das Chaos, das Pierce offenbar nur allzu gern erschafft. "A perfect miracle" ist freilich trotzdem nicht nur gelungen, sondern als Einstieg in "And nothing hurt" tatsächlich geradezu perfekt. Klar tut hier und da was weh. Pierce selbst beklagte im Vorfeld die Anstrengung, die der alleinige (!) Aufnahmeprozess des Albums auf ihn ausübte. "I'm your man", die zweite Vorabsingle, gibt seine orchestrale Erhabenheit mitsamt kleiner Gospel-Einlage auch nur kurz vor, bis wütende Stromgitarren aus dem Nichts auftauchen und sich in Ekstase spielen. Wie Pierce das alles ohne Unterstützung geschaffen haben soll, sorgt sowohl für skeptisches Stirnrunzeln als auch für selbstverständliches Schulterzucken. Klar hat er das. Wer, wenn nicht er?

Ansonsten ist "And nothing hurt" im besten Sinne ein typisches Spiritualized-Album, wie man es im Vorfeld erwarten durfte. Der Spaceman schafft es auch im mittlerweile durchaus fortgeschrittenen Alter von 52 Jahren, sich eine gewisse jugendliche Leichtigkeit zu bewahren, die den mittlerweile ebenso schon seit knapp drei Jahrzehnten existierenden Spiritualized abermals zu einem zwischen Wahn und Wirklichkeit wandelnden Höhenflug verhilft. "Here it comes (The road) Let's go" ist eine in allerlei bunten Farben schimmernde Alternative-Pop-Perle, die jetzt schon ein Klassiker für die Band bedeuten dürfte, "The morning after" hingegen stürmisch-polternder Rumpel-Rock, der die vorherrschende Katerstimmung mit Feuer, Krach und Wut zu bekämpfen versucht. Klappt natürlich. "Let's dance" schunkelt sich auf der altbackenen Familienfeier vollkommen unironisch von einer Ecke zur anderen und nimmt auch all jene Großtanten kurz in den Arm, deren Namen man sich niemals merken wird. Muss man ja auch nicht: Der nächste Abschied mit dem Raumschiff steht schon bevor. Viel Zeit nimmt sich das pompöse Finale "Sail on through" aber dennoch, baut sich langsam auf, nutzt jegliche Melancholie voll aus, ebenso diesen nostalgischen Blick zurück. Das vergilbte Foto von der Person, die in "A perfect miracle" besungen wurde, wird noch mal angeschaut und schließlich ganz hinten im Scheinfach des Portemonnaies einsortiert. Die Hoffnung stirbt wie immer zuletzt: Hoffentlich verabschieden sich Spiritualized nicht für lange.

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(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • A perfect miracle
  • Here it comes (The road) Let's go
  • Sail on through

Tracklist

  1. A perfect miracle
  2. I'm your man
  3. Here it comes (The road) Let's go
  4. Let's dance
  5. On the sunshine
  6. Damaged
  7. The morning after
  8. The prize
  9. Sail on through
Gesamtspielzeit: 48:16 min

Im Forum kommentieren

Jerry Garcia

2018-09-28 21:55:05

Das Album ist wirklich ein richtiger "Grower". Bei jedem Durchgang fallen einem andere Kleinigkeiten auf. Mir hängt "Sail on Through" seit Tagen im Ohr.


Empfehlenswert ist auch "Live At The Royal Albert Hall".

ExplodingHead

2018-09-20 16:11:03

Ja, an die "Ladies and Gentlemen..." wird Jason nicht mehr rankommen; trotzdem ist es wieder ein solides Spiritualized-Album.

XTRMNTR

2018-09-18 20:38:10

Mich packt es, wie die letzten Alben, leider nicht komplett. Mir fehlt da einfach der Noise.
Höre momentan wieder die „Ladies and Gentleman...“.
Ein Jahrhundertalbum in meinen Augen.
Werden sie nicht mehr toppen können. Aber ist ja auch eigentlich völlig ok.

ExplodingHead

2018-09-18 15:33:47

Fands auf Anhieb gut - und es wächst noch, bei jedem Hören. Schade, dass sich Jason live hierzulande so rar macht...

Amused

2018-09-11 22:40:45

Hm, die Review bei Pitchfork liest sich bisschen so, als sei die Wertung redaktionell mal wieder deutlich nach unten korrigiert worden. Schade drum, wahrscheinlich mein Gitarrenalbum des Jahres.

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