Princess Chelsea - The loneliest girl
Lil' Chief / CargoVÖ: 07.09.2018
Kuntergrau dunkelbunt
Eine junge Frau, die aussieht, als wäre Audrey Horne in einen Eimer Zuckerwatte gefallen, feiert in einem mysteriösen Wald eine Tee-Party mit Kuscheltieren. Drei Minuten später hat sich besagte Dame verfünffacht, spielt in psychedelischen Greenscreen-Aufnahmen diverse Instrumente, akustisch begleitet von Garagenrock-Riffs und Cembalo-Klängen. Ein wahnhafter Fiebertraum des Rezensenten oder der brandneue Teaser für die vierte Staffel "Twin Peaks"? Weder noch, nur die Videos zu Princess Chelseas "Wasting time" und "I love my boyfriend" im YouTube-Autoplay. Noch immer versteht es Chelsea Nikkel wunderbar, ihre knallpinke Ladung Synthie- und Kammer-Pop bis ganz nah vor einen Abgrund von Morbidität und Zynismus zu fahren, um dann mit wahnsinnigem Blick aufs Gaspedal zu drücken: "You're just walking and talking / Sitting outside drinking coffee / Waiting around to die." Uff.
Prinzessinnenhaft ist auch Nikkels viertes Album "The loneliest girl" höchstens an der Oberfläche – oder streng genommen nicht einmal da, fallen bei genauerem Hinsehen die rot funkelnden Augen im eher diabolisch als süß dreinblickenden Gesicht des Blumenmädchens auf dem Cover auf. Auch der Titel deutet auf eine Exkursion in Richtung Depression und Einsamkeit hin, doch die Neuseeländerin betont auch, dass sie kein Downer-Album gemacht hat. Entsprechend lässt sich bei besagtem "I love my boyfriend" ein Grinsen nicht unterdrücken, wenn Nikkel staubtrocken von der Zerrissenheit zwischen glücklicher Beziehung und der Anziehung zu einem anderen singt, nur um Letztere retrospektiv als Quatsch abzutun: "Ten years do I have to worry / I considered leaving for a guy that hates money." Selbstironie oder glatte Lüge zum Selbstschutz? Die Ästhetik zwischen The Velvet Underground und aristokratischer Girlgroup lässt auf jeden Fall den Schluss zu, dass sich hier eine Künstlerin nicht allzu ernst nimmt.
Als Hörer sollte man aber den Teufel tun und bitte mit aller Seriosität an dieses verdammt tolle Werk herangehen. Nach einem kurzen "Stranger things"-Intro baut sich "Good enough" im Schatten von Beach House auf, tritt aus diesem mit einem elaboriert zusammengeschichteten Arrangement aus Glockenspiel und butterweichen Synths wieder heraus und holt für sein grandioses Finale auch noch einen männlichen Bariton ins Boot. "The pretty ones" stellt direkt im Anschluss Sound und Stimmung komplett auf den Kopf, platziert sich mit bedrohlichen Streichern, mächtiger Rhythmussektion und Tremolo-Gitarre irgendwo zwischen Lana Del Reys Definition eines Rock-Epos und Bond-Ballade. Nicht nur in den stellenweise bitterbösen Texten, auch akustisch bewegt sich "The loneliest girl" oft genug vom süßen Twee- und Elektropop weg. Eindrucksvoll gerät da etwa auch "Growing older", das seinen immer präsenter werdenden Stromgitarren am Ende ganz die Bühne überlässt.
"Respect the labourers" markiert ein weiteres fein ausgearbeitetes Highlight und überzeugt mit Geigenhimmel und höllischem Saxophon-Exzess, doch der allerbeste Song ist hier tatsächlich der direkteste und tanzbarste. Nämlich das Titelstück, eine treibende, hell strahlende Synthie-Perle mit einem Disco-Riff, für das Arcade Fire mittlerweile ihre Bläsersektion verkaufen würden. "She's a martyr on the dancefloor" heißt es da auch, womit die Neuseeländerin möglicherweise darauf anspielt, was sie im finalen "All I need to do" ausformuliert: Die Aufopferung eines normalen Sozial- und Familienlebens zugunsten ihrer ganz eigenen Passion, obskuren, trotzdem wunderschönen Pop zu machen, der fürs Herumzappeln genauso gut geeignet ist wie für Momente der Todessehnsucht. "Gut so", kann man da als Nikkel verfallener Hörer und Fan entgegnen. Der Zynismus dahinter würde ihr selbst wahrscheinlich gefallen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Good enough
- The pretty ones
- The loneliest girl
- Respect the labourers
Tracklist
- The deer with the golden lights
- Good enough
- The pretty ones
- I love my boyfriend
- Wasting time
- The loneliest girl
- I miss my man
- It's nothing
- Respect the labourers
- Cigarette solo
- Growing older
- All I need to do
Im Forum kommentieren
Ja
2018-09-01 21:16:53
Wenigstens schreibt er jetzt mit richtigem Nick und kommentiert nicht mehr als MopedTobias seine eigenen Rezensionen.
@Arbeiter
2018-09-01 20:22:55
Lass doch bitte mal im Jahrespoll 2018 - Vol. 2-Thread hören, was dir in diesem Jahr bisher so gefällt.
Nur zur Info
2018-09-01 20:01:32
Marvin = MopedTobias
Arbeiter
2018-09-01 19:43:57
kommt auf die Einkaufsliste
P.S.
2018-09-01 17:48:32
Ich wäre auch gerne ein kleines lonely girl.
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