Miles - Miles

Big Store / V2
VÖ: 29.05.2000
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der Tag, an dem sich der Rock versteckte

Würzburg/Bayern 1998. Eine Band namens Miles veröffentlicht mit "The day I vanished" ihr Majordebüt und erntet Lob von allen Seiten. Songs wie "Happening" oder "Pretty day" werden zu Szenehits und geben all jenen die Hoffnung zurück, die meinen, Deutschland und anspruchsvolle Popmusik würden nicht zusammen passen. Einschmeichelnde Arrangements, schwelgerische Melodien und trotzdem knarzende Gitarren ebnen den Weg in die Herzen vieler. Dennoch bleibt unerwartet der erhoffte und von fast allen Kritikern beschworene Chartserfolg fast aus.

Zwei Jahre später: eine sich gereift fühlende Band legt mit dem selbstbetitelten Album "Miles" einen fast komplett umgeworfenen Sound vor. Verschreckt greift der Hörer, der sich gepflegten Indierock erhofft, zur CD-Hülle und wundert sich. Das sollen Miles sein? Sie sind es, auch wenn schon der Opener "Disco queen" eher nach 70er-Jahre-Disco zwischen Phil Spector und Giorgio Moroder klingt. Bubblegum-Pop pur. Diesen Schnickschnack abstreifend heißt der Hörer sich etwas beruhigend die folgenden Tracks "We need more close-ups" und "Sonic 3000" willkommen. Hier wird wieder so hinreißend eingängig geknarzt, wie man es vom Vorgänger gewohnt war. Dann bringt der an die Cardigans gemahnende Latinrhythmus aus "Bogota" wieder Ernüchterung. Sollten die vier Würzburger tatsächlich verlernt haben zu rocken?

"Irgendwann ist es nicht mehr interessant, die tausendste Gitarrenband kennenzulernen - es gibt immer wieder gute, aber irgendwann erschöpft sich das und dann ist eben auf einmal doch die neue Madonna oder die neue Pet Shop Boys aufregender." Dieses Bekenntnis mag der immer noch von Songs wie "Perfect world", das sogar mit einem Houseklavier(!) beginnt, oder dem von Trashkeyboards verzierten "I can hear music" irritierte Hörer kaum glauben. Aber langsam kriecht beim nächsten Hihat-Lift der unwiderstehliche Rhythmus dann doch in seine Beine. So platt wie zuerst vermutet scheint es doch nicht zu sein, was Miles hier abliefern. Was mit überraschenden Breaks und Gimmicks selbst bei tanzflächengeeigneten Songs beginnt, verführt ob der immer noch verführerischen Melodien spätestens beim dritten Hören auch denjenigen zum Mitpfeifen, der bislang noch so sehr glaubte, die Indiefahne hochzuhalten.

Neben feinst arrangierten Popperlen wie "Barracuda" oder der bittersüßen Ballade "Grasshopper's gone" stehen hier aufrechte Schraddler wie "Building up a "connaissance"" und das wiederbelebte "Baboon" vom Debüt. "Diesen Bruch haben wir auch gesucht." Nur der sich durchweg in den Vordergrund mogelnde, gelegentlich etwas scheppernde Rhythmus stellt so etwas wie ein verbindendes Glied dar. Süßen Melodien zwischen Abba und den Beatles mag der Hörer letztlich nicht böse sein. Diese Platte wird dennoch ohne Zweifel zu spalten wissen. Zu platt und eingängig scheint die Scheibe an der Oberfläche zu sein. Wer aber die Traute hat, Miles mehr als nur ein halbes Ohr zu leihen, findet immer wieder neue Feinheiten und erfreut sich an der Verspieltheit, mit der diese vier jungen Bayern der Indiegemeinde zeigen, was ein Popsong ist. Irgendwie findet der Hörer diese Platte ja doch ganz schön clever.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • We need more close-ups
  • Building up a "connaissance"
  • Grasshopper's gone

Tracklist

  1. Disco queen
  2. We need more close-ups
  3. Sonic 3000
  4. Bogota
  5. Barracuda
  6. Perfect world
  7. Where does it all belong to
  8. I can hear music
  9. Building up a "connaissance"
  10. Baboon
  11. Grasshopper's gone
Gesamtspielzeit: 44:28 min

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